Kapitel
Mit...Laster an den heiligen Byikal
Auszug aus: Kapitel 6, Monate der Vorbereitung
... ... Ich nehme noch einmal mit allen potentiellen Mitreisenden Kontakt auf und will endgültig wissen, ja oder nein? Bei manchen ein zögerliches aber bei allen ein klares Nein. Baue nie auf andere! Habe ich auch nicht gemacht. Hoffentlich kommen unsere Reisepässe von der Visaagentur rechtzeitig zurück. Zwei mal rufe ich an und immer sagt mir die Frau mit dem deutschen Einfluss im russischen Dialekt: “Ihre Pässe liegen hier und werden rechtzeitig bei Ihnen sein.“
Das wichtigste Dokument und so wenig Kontrolle darüber. Es ist das erste mal, dass ein Visum eingetragen wird. Hoffentlich geht alles gut und die Passbilder unserer Kinder sind an der richtigen Stelle. 2003 brauchten wir den Reisepass noch an den Grenzen zu Litauen, Lettland und Estland. Viele bunte Stempel zieren die Eintragungsseiten. Hoffentlich nehmen die Russen keinen Anstoß, weil wir so rege in ihren Ex- Gebieten unterwegs waren. Mittwoch. Die Pässe müssen heute kommen. Auch beim zweiten und dritten Gang zum Briefkasten ändert sich nichts. Die Pässe sind nicht gekommen. Am Telefon beteuert mir die gute Frau, dass alles in Ordnung ist und die Dokumente abgeschickt wurden. Susanne ist nicht begeistert über meine Aufbruchstimmung. Ich werde laut, “Wollen wir fahren oder nicht? Seit Anfang dieses Monats wollte ich unterwegs sein, jeden Tag kommt aber etwas anderes dazu was uns aufhält. Mir reicht es! Wollen wir nicht nur zu einem Tagesausflug an den Baikalsee müssen wir los.“ Nicht weniger laut zählt Susanne die Gründe auf, wieso wir noch nicht fahren können. “Die Hühner!“ Ja, die Hühner. Alles andere überhöre ich. Wieder so etwas was ich auch aufgeschoben habe. Drei Monate Hühner versorgen, das hätten die Großeltern oder vielleicht sogar meine Eltern gemacht, nur eben nicht, wenn wir zu den Russen fahren. Eine Überlegung die Hühner mitzunehmen hat etwas. Jeden Morgen frische Eier. Gute Leger sind es, Futter findet sich auch unterwegs. Für eine Transportkiste unten am Kofferaufbau wäre noch Platz. Wie sind die Bestimmungen der einzelnen Länder die wir durchfahren, lassen die uns passieren als halber Tiertransport?
4:00 Uhr früh, ich sammle mir die Hühner einzeln von der Stange. Eins nach dem anderen blutet aus. Es ist furchtbar schwer die Tiere zu töten die vor einem Jahr als eigene Nachzucht geschlüpft sind. Früher oder später geht es ihnen aber immer an den Kragen. Eigentlich passiert das einzeln und nur dann, wenn es anschließend auch Huhn gibt. Am Abend liegen alle fertig gerupft und ausgenommen in unserer Kühltruhe. Meine Fingerkuppen sind total taub, das Rupfen ist die schwerste Arbeit am Hühner schlachten, doch auch das ist jetzt geschafft. “Die Pässe sind da, ab übermorgen gilt unser russisches Aufenthaltsvisum.“ “Da müssen wir fliegen!“ “Na ja, das Visum läuft schon, wenn wir an der Grenze ankommen, so müssen wir nicht erst warten. In Reiseberichten hab ich gelesen, dass manche tagelang vor Grenzen warten, bis ihr Visum einsetzt.“ Nils und Erik sind im Kindergarten abgemeldet. Geht alles seinen Gang, sieht Nils den Kindergarten nicht wieder. Dementsprechend gab es schon eine kleine Abschiedsfeier. Telefon, Strom und andere laufende Finanzverpflichtungen sind alle auf Bankeinzug umgestellt. “Morgen geht es los!“ “Das schaffen wir nie!“ “Doch es geht morgen los!“ Susanne, uns bleiben 11 Wochen, nicht wie geplant drei volle Monate nur auf russischen Gebiet. Wollen wir zum Schulanfang zurück sein, müssen wir los!“ Einige Male habe ich inzwischen gerechnet, mit einem guten Durchschnitt und ohne Aufenthalte brauchen wir über 3 Wochen für eine Strecke. Was ich mir selbst zumute ist damit klar, hoffentlich fährt Susanne auch ab und zu. Zur Zeit will sie nicht, eigentlich ist sie die letzten Tage nur noch am Meckern. Sicher ist sie auch etwas irritiert, mit welcher Ignoranz, Rücksichtslosigkeit und Konsequenz ich alles aus dem Weg räume was noch aufhält. Einige Male im Leben gibt es Gründe für so ein Handeln. Der eine macht es, der andere stirbt darüber ab und gibt klein bei. Über das Stadium von Zweifel und Umkehr bin ich weg, es geht nur noch alle oder einer. Den W50 habe ich in unsere Einfahrt gefahren. Bis jetzt waren noch keine sperrigen Sachen im Auto. Die Packkisten sind zwar schon voll aber der Koffer sieht aus wie leer gefegt. Vieles ist schon an Bord und erstaunlich schnell sind die anderen Dinge im Koffer die noch aufgelistet sind. Das Arbeiten, hin auf den Tag X hat sich bezahlt gemacht, unglaublich was alles schon bereit steht und nur noch verstaut werden muss. Ab jetzt weiß das ganze Dorf bescheid, zumindest dass wir nach Russland fahren. Der eine freut sich mit uns, der nächste malt wieder den Teufel an die Wand und ganz Schlaue fragen auch schon mal, was wir an dem See wollen, der doch so ausgetrocknet ist, dass ganze Schiffsflotten im Trockenen liegen. Immer freundlich sein, grüßen und nicht aus der Ruhe bringen lassen!
16:00 Uhr Kaffeetrinken bei meinen Eltern. “Ja! Wenn wir weniger weit entfernt einen schönen Platz finden bleiben wir da und fahren nicht weiter.“ “Nein! Mit Wildfremden gehen wir nirgends hin.“ “Ja! In Deutschland gibt es auch schöne Urlaubsgegenden.“ “Nein! Jeden Tag melden können wir uns nicht.“ Die Stimmung ist weniger gegen mich, als sonst üblich. Susannes Großeltern sind heute schon schwieriger. Ich sage lieber nicht viel, hier reiße ich jetzt nicht´s mehr rum. Es ist kurz vor um sieben, es ist spät geworden aber jetzt geht es auch los. Heute! Jetzt kommen die ersten Kilometer unter die Räder.
“In der Garage steht noch eine Flasche Birnenschnaps, die kannst du deinen Russen mitnehmen!“
Zwischen den Kapiteln.
Steigen Sie ein, Plätze sind frei! Sie sitzen wie im Bahnwaggon hinten im geräumigen Kofferaufbau. Unsere Kinder tollen herum, spielen, singen, malen und schauen manchmal auch einfach nur aus den Fenstern und sind still. Nach vorn ist durch den breiten Durchstieg ins Fahrerhaus für alle, die hinten sitzen eine gute Sicht. Wer will, kann aufstehen und zum Fenster der Hecktür nach hinten hinaus schauen. Die Tür ist während der Fahrt immer von außen verschlossen, es kann niemand herausfallen. Die Chemietoilette ist frisch, Sie müssen keine Angst haben zu “müssen“ und ich halte nicht an. Wir werden Sie die Fahrt über ignorieren, selbst wenn Sie einen hilfreichen Vorschlag haben. Wir machen unsere Fehler so wie sie kommen. Noch können Sie aussteigen, in die Eckkneipe, zur Verwandtschaft, arbeiten oder schlafen gehen. Überlegen Sie sich´s genau, es werden viele Wochen ohne Fernsehen, ohne Internet, ohne Telefon, ohne Kühlschrank. Aber es werden auch Wochen ohne Verwandtschaft, ohne Chef, Abteilungsleiter und Arbeitszeiten. In fünf Minuten geht es los. Ein paar Flaschen Wein und Bier haben wir im Gepäck. Das sind unsere Luxus- Vorräte. Wenn Sie mitkommen, besorgen Sie sich am besten selbst schnell noch ihre Hausmarke und stellen etwas neben sich in Reichweite, dann brauchen Sie während der Fahrt nicht zu den Küchenschränken schwanken. Es wäre ja schade, wenn dabei etwas verschüttet würde. Angurten brauchen Sie sich nicht, hier im Auto gibt es keine Gurte. Bewegen Sie sich frei, schnell werden Sie sich daran gewöhnen und nie mehr mit Gurt fahren wollen.
Achtung ich fahre rückwärts, es geht los!
--ulf-hoffmann-------