Ade schönes Libyen

  • Ich war Gestern auf einer Veranstaltung von Diplomaten und Aussenämtlern, die über die aktuelle Situation in libyen und das Verhalten der Bundesregierung dazu debatiert haben. Das war alles in allem mal wieder sehr Aufschlussreich und bei bin ich unter anderem auch auf die folgende lesenswerte Analyse gestossen:



    Arabischer Raum / Libyen
    Verband für Internationale Politik und Völkerrecht e. V. Berlin (VIP)
    Publikationen von Mitgliedern des VIP
    (die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt bei den Autoren)


    Bator, Dr. Wolfgang:


    "Ghaddafi und Libyens Islamisten"


    Quelle: Autor,abgeschlossen 29.03.2011


    „Mit massiven Luftschlägen ...sollen weitere Angriffe der Truppen des Diktators auf das eigene Volk verhindert werden“, schreibt die Märkische Allgemeine am 21.3.2011. Am gleichen Tage erklärt ein Sohn Ghaddafis, Saif al-Islam: „Der Westen unterstützt die Falschen, unser Kampf ist gegen Terroristen und deren Milizen gerichtet“ und er spricht vom Kampf gegen „bewaffnete Gangs“. Zwei Tage später ist in der Neuen Zürcher Zeitung von ihrem Korrespondenten Beat Amman aus Washington zu lesen: „Eine eher beunruhigende Seite von „Odyssey Dawn“ (d.h. der Operation gegen Libyen, W. B.) besteht darin, dass niemand weiß, wer die Rebellen gegen Ghaddafi eigentlich sind.“


    Welchen Charakter hat nun tatsächlich die Oppositionsbewegung gegen Ghaddafi? Ist es das Volk, das gegen sein Regime kämpft, sind es Aufständige, Rebellen oder Terroristengruppen? Bis zum heutigen Tag wurde weder von Politikern noch von Medien diese Frage gestellt und versucht, sie zu beantworten. Weiß man es wirklich nicht – oder will man es nur nicht wahrhaben?


    Die von Ghaddafi und seinen „Freien Offizieren“ nach ihrer Machtergreifung 1969 herbeigeführten radikalen Veränderungen stießen auf den Widerstand breiter Kreise. „Die Reichen und Privilegierten, die traditionellen Stammesführer und die religiösen islamischen Eliten nahmen den Verlust ihrer Macht nicht widerstandslos hin“, heißt es in einem Artikel der US Library of Congress [1]. Die Oppositionsbewegung gegen Ghaddafi umfasste Teile der bewaffneten Kräfte, der Universitätsstudenten, Intellektuellen, Technokraten und Stammesführer. Und so kann es nicht erstaunen, dass sich durch die gesamte Herrschaft Ghaddafis eine Kette von Verschwörungen, Putschen, Umsturzversuchen und Attentaten hinzieht.


    Die Opposition im Exil, unter den Studenten und den Stämmen


    Im Exil soll es mehr als zwanzig libysche Oppositionsgruppen geben. Bereits 1969 und 1970, unmittelbar nach der Revolution, wurden zwei Putschversuche von Anhängern des gestürzten Königs Idris von Ghaddafis Armee und Sicherheitsdiensten niedergeschlagen. Darin waren Angehörige des alten Königshauses verwickelt. Die bedeutendste Oppositionsgruppe im Ausland ist die „Libyan National Salvation Front“ (LNSF), die 1981 gegründet wurde und die sich zu dem fehlgeschlagenen Attentat auf Ghaddafi in dessen Hauptquartier Bab al Aziziyah am 8. Mai 1984 bekannte. Die LNSF-Angreifer waren vom amerikanischen CIA ausgebildet und unterstützt worden. Die Zahl der von libyschen Sicherheitsdiensten Verhafteten soll über 2000 liegen, acht wurden öffentlich hingerichtet. Neben der LNSF besteht die 1982 in Kairo gebildete „Libyan Liberation Organisation“, die seit 1987 von Abdul Hamid Bakkush, der unter König Idris Minister gewesen war, geleitet wird. Neben diesen gibt es die Organisation „Al Burkan“, der Vulkan, die verantwortlich sein soll für die Ermordung zahlreicher Libyer im Ausland. Weniger bekannt ist die mit dem Irak liierte „Libyan Constitutional Union“, die vom ersten libyschen Premierminister al-Maghrabi, einem rechten Anhänger Idris geführt wird. All diese außerhalb Libyens agierenden Oppositionsgruppen sind zersplittert, uneinig in Grundfragen und blieben bisher weitgehend uneffektiv. In den Informationen über die gegenwärtigen Gegner Ghaddafis wurde bisher keine dieser Organisationen erwähnt.


    In der ersten Jahren nach der Revolution bildeten Studentenrevolten an Libyens Universitäten die sichtbarsten Zeichen einer Opposition. Doch die Studentenbewegung war untereinander uneinig und spaltete sich bald auf in Befürworter und Gegner der Revolution. Die Mehrzahl der Studenten wurden Anhänger der Ideen Ghaddafis, die er im „Grünen Buch“ dargelegt hatte. 1976 kam es an der Universität von Benghazi zu Unruhen unter den Studenten, die gegen die Einmischung des Staates in die Wahl der Vertreter der Studentenunion demonstrierten. Sicherheitskräfte besetzten das Campus, schlugen die Unruhen gewaltsam nieder und verhafteten Studenten. Von da an gab es immer wieder Informationen über Studentenunruhen. 1984 wurde auf dem Gelände der Al Fatah Universität ein Mitglied eines Revolutionskomitees getötet. Zwei Studenten wurden öffentlich hingerichtet. Bei den gegenwärtigen Unruhen gibt es keinerlei Informationen über Beteiligung von Studentenbewegungen oder -gruppen.


    Die Stämme sind in Libyen nach wie vor Faktoren in der Politik und wichtig für die Machtausübung. Bis zu Ghaddafis Revolution von 1969 bestanden sie als selbständig handelnde politische, ökonomische und militärische Einheiten. Die Stämme zerfallen in Unterstämme, Clans und Familien. Weder der Ölreichtum, noch der Einfluss der Revolution Ghaddafis haben das auf Stammeszugehörigkeit und Stammestreue bestehende Netz zerstören können, das für die nationale politische Szene seit Jahrhunderten von Bedeutung ist. Das erklärt den gegenwärtig offensichtlich auf Stammeslinien verlaufenden Verfall staatlicher Strukturen.


    Ghaddafi versuchte die Stämme mit Geld zu beeinflussen, auch wird behauptet, dass er den Stamm, dem er selbst entstammt, bevorzugte. Die Stammestreue und die unter den Stämmen bestehende Differenzen, um nicht zu sagen unterschwelligen Feindschaften glaubte er für seine Herrschaft ausnutzen oder negieren zu können. Das rächte sich, indem bei den jüngsten Demonstrationen gegen ihn die alten Stammesdifferenzen wieder aufbrachen. Mitglieder von Stämmen die einst zu seinen Anhängern zählten, setzten die Interessen des Stammes über die Ghaddafis und wandten sich von ihm ab. Zu Ghaddafis Herrschaft bekämpfenden Kräften können die Stämme der Maghrebi, Zwaiye, Zawawi, Faqri und Gebayli gezählt werden. Sie sind der Ansicht, dass die gegenwärtigen Kämpfe kein Bürgerkrieg sind, sondern eine Revolution mit dem Ziel Ghaddafi zu stürzen und Libyen aus seinem gegenwärtigen Zustand der Spaltung und der Anarchie herauszuholen und wieder zu vereinen.


    Die militärische Opposition


    Die ernsthaftesten Bedrohungen seines Regimes sah Ghaddafi mit Recht jedoch nicht in den Exilorganisationen, der Studentenbewegung oder den Stämmen, sondern von Seiten der Armee und den traditionellen islamischen Geistlichen.


    Die von Ghaddafi geschaffenen Revolutionskomitees versuchten im Laufe der Jahre ihren Einfluss und ihre Macht auf Kosten der Armee zu vergrößern. Die Armee wiederum wehrte sich gegen die Einmischung der Revolutionskomitees in Fragen der nationalen Sicherheit 1986 kam es im Gefolge des Versagens der libyschen Abwehr gegen den Luftangriff der USA gegen Tripolis und 1987 auf Grund der Niederlage der Truppen im Krieg mit dem Tschad zu Unruhen unter den Offizieren. Im Exil formierte sich eine so genannte „Libyan National Army“, der vor allem ehemalige Armeeangehörige angehörte, die als Kriegsgefangene im Tschad gewesen waren.


    In den 90-iger Jahren wurde die Armee für Ghaddafi eine immer größere Bedrohung. Im Oktober 1993 zerschlug Ghaddafis Sicherheitsdienst ein Komplott, in das sowohl Offiziere als auch Angehörige des Warfallah Stammes verwickelt waren. Daraufhin führte er eine kontinuierliche Rotation der oberen Offiziersränge ein und veranlasste die für ihn gefährlichsten zur Pensionierung. Doch trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen gehen auch weiterhin die meisten Attentatsversuche gegen Ghaddafi auf Rechnung der Armee, gab es doch von Armeekreisen während seiner ganzen Zeit zahlreiche Verschwörungen und Attentate. Kenner und Beobachter der Entwicklung in der libyschen Armee gingen deshalb bisher davon aus, dass die Militärs diejenigen Oppositionskräfte seien, die allein imstande wären Ghaddafi zu stürzen. Doch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, Wochen nach Ausbruch der Unruhen in Libyen, zeichnet sich nicht ab, dass militärische Überläufer und Dissidenten die eigentlichen Träger des Widerstandes gegen Ghaddafi sind. Einzelne Offiziere und Armeeangehörige sind zwar zu den Rebellen übergelaufen, doch es ist nicht bekannt, dass ganze Armeeeinheiten sich in die Front der Gegner des Regimes eingereiht hätten und sich als geschlossene Formationen an den Kämpfen beteiligen würden.


    Die religiöse Opposition


    Am 23. März 2011 schrieb der Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Beat Amman: „Laut Berichten in amerikanischen Medien haben Ghaddafis Geheimdienste mit der CIA zusammengearbeitet, um islamistische Extremisten zu bekämpfen. Die al-Qaida ist demnach in Libyen kaum präsent.“ Ist dem wirklich so? Meiner Ansicht nach spielen die islamistischen Kräfte unter Führung der traditionellen islamischen Geistlichen eine wichtige Rolle bei den Unruhen. Das widerspricht bisherigen Auffassungen, erklärt sich jedoch aus der Haltung, die Ghaddafi zum Islam bezieht.


    Im April 1973 verkündete Ghaddafi seine „Dritte Universaltheorie“ und rief zu einer Kulturrevolution auf. Zu den einzelnen Aspekten dieser Revolution zählte auch die Anpassung der noch geltenden Gesetzgebung an die Scharia. Bereits 1971 waren Komitees gebildet worden, deren Auftrag es war, diese Gesetzgebung in Übereinstimmung zu bringen mit den Regeln der islamischen Scharia, denn die 1977 beschlossene Verfassung legte fest: „Der Heilige Koran ist der soziale Kodex der „Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya“.


    Die Einführung einer islamischen Gesetzgebung wurde anfangs von dem traditionellen islamischen Establishment begrüßt und unterstützt. Doch das änderte sich bald. Die in Ghaddafis „Grünen Buch“ formulierte „Dritte Unversaltheorie“ sollte ein dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus sein. Diese Gesellschaftstheorie ist zwar utopisch, doch zugleich ist sie in ihren Grundprinzipien säkular, angelehnt an westliche Theorien. Der Islam wurde in der Verfassung festgeschrieben, doch die alles beherrschende Rolle kommt laut dieser Theorie dem Staate zu. Praktisch besteht in Libyen die Trennung zwischen Staat und Religion. Parteien islamischen Charakters, islamische Wohlfahrtsorganisationen und auch die Moscheen mit den zumeist politisch gefärbten Freitagspredigten spielen im öffentlichen Leben keine große Rolle, ebenso wenig wie die traditionellen islamischen Prediger und Gelehrten selbst.


    Ghaddafi betrachtet den Text des Koran als die alleinige Quelle der Scharia. Die traditionelle Rolle der islamischen Juristen und Gelehrten, die sich als Interpreten der Korantexte sehen, wird von ihm abgelehnt. „Wie andere auch, forderte er (Ghaddafi) eine Rückkehr zur Quelle, zum Koran. Doch im Gegensatz zu anderen Reformern, schloß er die „hadith“ und die „sunna“, das heißt die Interpretationen der Aussprüche und Handlungen des Propheten als Quellen der Gesetzgebung aus. Indem er diese ....... in Frage stellte, schloss er tatsächlich damit das gesamte Gebäude der traditionellen islamischen Jurisprudenz aus.“[2] Ghaddafi selbst versuchte angesichts der modernen Entwicklungen und den daraus erwachsenden Erfordernissen, den Koran neu zu interpretieren, denn er fühlte sich zum islamischen Reformator berufen. Nach seiner Interpretation des Islam ist der Koran in Arabisch für alle lesbar und bedarf deshalb keiner Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Letztendlich lief alles darauf hinaus, das das „Grüne Buch“ die Scharia als Grundlage der libyschen politischen und sozialen Entwicklung ersetzen sollte.


    1977 unternahm Ghaddafi einen weiteren gewagten, äußerst kontroversen Schritt: Er veränderte den islamischen Kalender. Der geltende Kalender der Mohammedaner beginnt mit dem Tage der Übersiedllung des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina. Ghaddafi jedoch verkündete, dass der Kalender nunmehr mit dem Tage des Todes des Propheten beginnen solle.


    Die traditionelle islamische Geistlichkeit war empört ob dieser Gotteslästerung. Die islamischen Prediger und islamischen Juristen klagten ihn auf Grund dieser Abweichungen von der islamischen Tradition der Ketzerei an.


    Die offene Konfrontation mit den islamischen Geistlichen und Gelehrten begann Mitte der siebziger Jahre, als die Geistlichen anfingen, einzelne der eigenwilligen und radikalen Ansichten Ghaddafis öffentlich zu kritisieren. 1978 warnte Ghaddafi die islamischen Geistlichen, sich nicht in staatliche Angelegenheiten einzumischen, ließ Moscheen schließen und einige der Prediger durch dem Regime genehmere ersetzen. In den achtziger Jahren, als das Problem des Terrorismus international eine immer größere Rolle spielte, begann er eine anti-fundamentalistische Politik einzuleiten, denn er sah im islamischen Fundamentalismus den Sammelpunkt für die Oppositionsbewegung gegen ihn. Die Revolutionskomitees überwachten von da an rigoros die Moscheen, die Imame und die fundamentalistische Strömung.


    Einen seiner Hauptfeinde sah Ghaddafi in den „Moslembrüdern“[3] sie wurden verboten, ihre Führer gingen ins Exil doch die Organisation arbeitete illegal weiter. Im März 1987 wurden neun Moslembrüder, die die Ermordung eines sowjetischen Beraters geplant hatten, hingerichtet. Bereits 1986 war ein Mitglied der Revolutionskomitees von einer bis dahin unbekannten fundamentalistischen Oppositionsgruppe, der „Hisbollah“[4] ermordet worden. Ende 1986 wurden die 48 islamischen Institute, die es in Libyen bis dahin gab, geschlossen, um damit den wachsenden Einfluß der islamischen Opposition einzudämmen..


    Vor dem gegenwärtigen Bürgerkrieg stellte die „Libyan Islamic Fighting Group“ (LIFG), die Organisation dar, die für Ghaddafis Regime am gefährlichsten war. Sie versuchte im Osten des Landes erfolglos einen Aufstand zu organisieren und führte drei Attentatsversuche auf Ghaddafi durch. Die LIFG war Mitte der neunziger Jahre gegründet worden von libyschen Veteranen der Afghanistan-Kämpfe gegen die sowjetische Besatzung. Es gab Berichte, daß über 1000 libysche Mitglieder der LIFG in der Zeit vor dem 11. September 2001 in afghanischen Trainingslagern der Taliban ausgebildet worden sind. Etliche Mitglieder der Organisation rechneten sich zur al-Qaida, während andere Bin Laden ablehnten und sich auf den Kampf gegen Ghaddafi orientierten. Ghaddafi verfolgte die LIFG erbarmungslos. Die Führer der Organisation wurden inhaftiert, im Ausland befindliche Persönlichkeiten entführt und nach Libyen zurückgebracht. 1990 erfolgte in Libyen ein Aufstand der Islamisten. Wenige Fakten wurden davon bekannt, doch man wusste, dass insgesamt 177 Kämpfer der LIFG bei den Kämpfen von libyschen Sicherheitskräften getötet wurden.


    2006 änderte Ghaddafi seine Politik und orientierte auf eine Annäherung an den Westen. Er verzichtete auf die Kernforschung und auf Massenvernichtungswaffen, stellte sein Programm zum Bau von weit reichenden Raketen ein und begann auch mit den USA auf dem Gebiete der Terrorismusbekämpfung zusammenzuarbeiten. Er stellte wichtige Informationen über die al-Qaida und deren Operationen zur Verfügung und ließ als erstes Land Bin Laden von der Interpol auf die rote Liste setzen. Im Gegenzug erreichte er, dass die USA die LIFG auf die Liste der terroristischen Organisationen setzte und der Mitgliedschaft in der LIFG Verdächtige an Libyen auslieferte.


    Gleichzeitig mit dieser Änderung seiner Politik, begann das Regime auch seine Haltung zum Islam zu verändern. Dies erfolgte nicht zuletzt auf Druck der internationalen Gemeinschaft, die Ghaddafi der kontinuierlichen Verletzung der Menschenrechte und der Unterdrückung seines Volkes anklagte. Wenn auch die grundsätzlich harte Linie in der Bekämpfung des Fundamentalismus nicht aufgegeben wurde, so wurde jedoch nun von Ghaddafi eine flexiblere Taktik angewendet, um dem Islam als Staatsreligion mehr Rechnung zu tragen.


    In der LIFG sah Ghaddafi die größte Herausforderung für sein Regime. Diese Organisation zu neutralisieren wurde zum wichtigen Anliegen. Es kam zu Kontakten mit der LIFG, und zum Dialog, an dem sich neben dem vom Regime inhaftierte Vertreter der Führung und auch Persönlichkeiten der LIFG im Exil beteiligten. Regelrechte Verhandlungen fanden nach 2007 statt. Sie standen unter der Leitung eines Sohnes von Ghaddafi, Saif al-Islam und einem der prominentesten islamischen Gelehrten, Sheik Ali al-Salabi. Sie waren möglich geworden, nachdem die LIFG ein Manifest herausgegeben hatte in dem sie ihre harte fundamentalistische Linie abschwächte. Es trug den Titel : „Studie zur Korrektur der Doktrin des Jihad... und deren Regeln.“ Damit gelang es, den radikalen Charakter dieser Bewegung so weit abzuschwächen, das sie nach Ghaddafis Auffassung keine akute Gefährdung des Regimes mehr darstellte. Gleichzeitig bot das Regime, wiederum auf internationalen Druck hin den verhafteten Extremisten der LIFG eine Möglichkeit zur Rehabilitation. Der Grundsatz nachdem diese rehabilitiert werden sollten war einfach: Die islamistischen Kämpfer sollten ihre Freiheit erhalten, wenn sie bereit waren der Gewalt abzuschwören und die Legitimität der libyschen Regierung anzuerkennen. Zugleich sollten die freigelassenen islamischen Extremisten ein Rehabilitationsprogramm absolvieren, wie es bereits in Saudi Arabien und im Yemen zur Anwendung gekommen war – und das unter internationaler Aufsicht.


    Auf dieser Grundlage wurden im Verlaufe der letzten Jahre Hunderte von libyschen Islamisten freigelassen, allein während der letzten zwölf Monate vor Beginn des Bürgerkrieges 350 Inhaftierte. Darunter befanden sich Mitglieder der LIFG und anderer extremistischer islamischer Organisationen, Moslembrüder und junge islamische Kämpfer, die entweder im Irak gekämpft hatten oder versucht hatten dorthin zu gelangen, um gegen die amerikanische Besatzung zu kämpfen. Wenige Tage vor dem Beginn der gegenwärtigen Unruhen, am 16. Februar 2011, entließ das Regime noch einmal 110 Inhaftierte der LIFG darunter Abudulwahab Muhammad Kayid, ehemaliger Kommandeur der LIFG und ein Bruder von al-Libi, einem Sprecher der al-Qaida. Al-Libi war 2002 in Afghanistan von der NATO gefangen genommen worden und 2005 aus dem Bagramer Gefängnis in Afghanistan entflohen. Er hält sich wahrscheinlich im pakistanischen Grenzgebiet auf. Nach einer Information der Jamestown Foundation vom 17. März 2011[5] rief al-Libi sofort bei Beginn der Unruhen das libysche Volk auf, dem Beispiel des libyschen Nationalhelden Omar al-Mukhtar, der gegen die italienische Besatzung gekämpft hatte, zu folgen und den Heiligen Krieg zu erklären, der die einzige Lösung für Libyen sei.


    Insgesamt schätzt man, dass Ghaddafis Regime während der letzten Jahre über 700 inhaftierte Islamisten entlassen hat. Zu diesen Freilassungen schreibt der Wissenschaftler Christopher Boucek vom Carnegie Endowment in einem Kommentar vom 9. März 2011: „Das war keine Rehabilitation oder Wiedereingliederung, sondern einfach eine Entleerung eines Gefängnisses. Da kein Rehabilitationsprogramm durchgeführt wurde, gibt es keine Möglichkeit die Auswirkungen zu verfolgen, insbesondere, was die Abschwörung vom Terrorismus angeht......Auf meinen persönlichen Eindrücken basierend scheint es mir, dass nur sehr wenige der Freigelassenen wirklich auf ihre bisherigen Einstellungen verzichtet haben.....Jetzt steht die Frage, wo sind diese Freigelassenen und was machen sie?“[6]


    Weiterhin gelang es, nach einer Reutermeldung vom 17. Februar 2011, zu Beginn der Unruhen 1000 Inhaftierten, darunter zahlreichen Islamisten, aus dem Gefängnis in Benghasi zu entfliehen, nachdem dies von den aufständischen Rebellen gestürmt worden war.


    Wohin geht Libyen?


    Alles spricht dafür, dass sich die Mehrzahl der Islamisten, die zumeist einen terroristischen Hintergrund haben, den Aufständischen gegen Ghaddafi angeschlossen haben. Sie haben, im Gegensatz zur Mehrheit, den militärisch unerfahrenen Studenten, Lehrern und Angestellten, militärische Kampferfahrung - und sie haben, „Zugang zu den Waffenlagern und den ungenügend bewachten Lagern chemischer Waffen“[7]. Sie können seit Beginn der Unruhen in einem zerfallenden staatlichen Umfeld frei agieren und vermutlich stellen sie den harten Kern des Aufstandes dar. An der Äußerung von Ghaddafis Sohn, Saif al-Islam, man kämpfe gegen Terroristen könnte also durchaus etwas sein. Nach Presseveröffentlichungen ziehen sie in den Kampf mit dem traditionellen arabischen Schlachtruf „Allahu Akbar“, Gott ist groß. [8]


    Letztlich ist es, ungeachtet gegenteiliger Beteuerungen, die Absicht der in der Militärkoalition beteiligten Staaten, das Regime Ghaddafis zu beseitigen, um Libyen Demokratie und Freiheit zu bringen und das westliche Wertesystem zu vermitteln. Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen der Aufständischen, besteht jedoch das Ziel der islamistischen Extremisten nicht nur darin, die Diktatur Ghaddafis zu beseitigen. Für diese Islamisten ist der Islam die entscheidende Motivation ihres Kampfes, sie wollen den säkularen Charakter Libyens verändern, entsprechend den Regeln des islamischen Fundamentalismus. Und sie können sich in diesem Kampf der Unterstützung von Teilen des libyschen Volkes, das die Herrschaft Ghaddafis ablehnt und gleichzeitig eine stärkere Orientierung auf den Islam begrüßen wird, gewiß sein.


    Sollten die Aufständischen siegreich sein, dann dürften in einer kommenden libyschen Regierung die Islamisten mit eine Rolle spielen – und damit den Charakter des Landes und sein Machtsystem mit prägen. Doch „gleichgültig ob es Ghaddafi oder die Rebellen sind, die siegen werden, es besteht die Gefahr, dass diese Islamisten die Sicherheit in Libyen, die Stabilität der Region und auch die nationalen Interessen der USA und seiner Verbündeten gefährden. All dies ist wahrscheinlich, da Libyen in ein Chaos abgeglitten ist.“ [9]


    [1] The opposition to Qadhafi, US Library of Congress, 1988.


    [2] desgl. a.a.O.


    [3] Die Moslembrüder, die auch in anderen arabischen Staaten organisiert sind, traten in den Unruhen in Ägypten als eine der stärksten Oppositionsgruppen hervor. Sie wurden von Mubarak verboten, verfolgt und brutal unterdrückt. Sie haben die größten Chancen, bei den kommenden Wahlen in Ägypten eine entscheidende Rolle zu spielen.


    [4] Die Hisbollah wurde in den Folgejahren im Libanon die stärkste islamische Gruppierung, fügte Israel bei dessen Libanonaggression von 2006 eine Schlappe zu und stellt in der gegenwärtigen libanesischen Regierung mehrere Minister.


    [5] Ryan, Michael, What do the uprisings in the Middle East mean for Al-Qaida? Jamestown Foundation,


    Terrorism Monitor, 17 march 2011.


    [6] Boucek, Christopher, Dangerous Fallout from Libya’s Implosion, Carnegie Endowment.


    Commentary, 9 March 2011.


    [7] desgl. a.a.O.


    [8] Derek Henry Flood, Assessing Libyan Rebel Forces, Jamestown Foundation, Terrorism Monitor, 3 March


    2011


    [9] Boucek, a.a.O.

  • Und hier noch ein paar lesenswerte Gutennachtgedanken aus der heutigen Zeitung. A



    Ja zum Sonderweg
    Druck machen für einen Waffenstillstand, Verhandlungen und eine faire Berichterstattung: Ein pazifistischer Blick auf Libyen
    Von Andreas Buro
    Sechs »Tomahawk«-Marschflugkörper gegen Libyen:
    Sechs »Tomahawk«-Marschflugkörper gegen Libyen: die Besatzung des britischen U-Boots HMS Triumph feierte am Samstag ihren bisherigen Beitrag beim Bombardement
    Foto: AP
    Beim militärischen Eingreifen der NATO in Libyen entstehen Zweifel über die wirklichen Motive. Warum greift der Westen nur in Libyen ein und nicht in Saudi-Arabien, Bahrain, Syrien, Israel, Simbabwe oder an der Elfenbeinküste? Warum wurden die Bemühungen um eine politische Lösung, die von der Afrikanischen Union, Lateinamerika und von der Türkei ausgingen, nicht unterstützt, sondern durch schnelle Bombenangriffe zunichte gemacht? Warum wird fast ausschließlich über die tatsächlichen und potentiellen Opfer der Truppen Muammar Al-Ghaddafis berichtet, aber nicht über die Massaker der Rebellengruppen?


    Die Spitzenpolitiker der Rebellen, Mahmud Dschibril und Ali Tarhuni, haben ihr Studium in den USA absolviert und waren dort an Universitäten tätig. Wem fällt da nicht sogleich der afghanische Präsident Hamid Karsai ein? Geht es auch um Zugriffsmöglichkeiten auf das libysche Öl? Erlaubt die UN-Resolution wirklich, daß die NATO im Bürgerkrieg Partei auf der Seite der Rebellen ergreift? Welchen Anteil an der Rebellion haben westliche Geheimdienste? Bei der offiziellen Legitimation des NATO-Einsatzes im libyschen Konflikt wird viel von einer »humanitären Intervention« gesprochen. Die Ideologie der »humanitären Intervention« ist die Fortsetzung der Ideologie vom »gerechten Krieg«, der wichtigsten Legitimationsideologie für fast alle Kriege. Für die Friedensbewegung stellt sich die Frage, welche Folgen hätte es, wenn Pazifisten sich für eine humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln einsetzten, wie es zum Beispiel Uri Avnery tut?
    Herrschaftsinstrument
    Kriegerisch intervenieren kann man nur mit überlegenen Kräften. Deshalb muß ständig qualitativ aufgerüstet werden, um diese Überlegenheit zu sichern. Selbst wenn der Militäreinsatz angeblich nur das letzte Mittel sein soll, schafft man damit eine Dauerlegitimation für Aufrüstung, die andere Staaten als bedrohlich empfinden und die destabilisierend wirkt. Die »militärische humanitäre Intervention« kann nur gegenüber schwächeren Staaten und nicht gegenüber starken erfolgen. Sie wird damit zum Herrschaftsinstrument der großen und militärisch besonders potenten Staaten. Wenn aber Aufrüstung und gar der Besitz von Atomwaffen scheinbar Sicherheit vor Eingriffen von außen versprechen, wer will dann noch abrüsten?


    Verhandlungen im Zeichen der »militärischen humanitären Intervention« werden zur Durchsetzung von Positionen geführt, aber nicht, um Kompromisse zu finden: »Und bist Du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt« ist die Devise. Die Verhandlungen der NATO in Rambouillet im Vorfeld des Krieges gegen Jugoslawien gaben dafür drastisches Anschauungsmaterial.


    Um glaubwürdig zu sein, muß die Behauptung der »militärischen humanitären Intervention« ständig legitimiert werden. Sind keine »Beweise« vorhanden, so müssen sie erfunden werden. Es besteht der ständige Drang zur Verbreitung von Falschdarstellungen und Lügen. Dies war im Irak- und im Kosovo-Krieg reichlich zu beobachten. Solche irreführenden Darstellungen verhetzen die Bevölkerung und schaffen psychische Feindbilder vom »bösen Gegner«, dem alles Schlechte angelastet wird. So verstellen sie den Blick auf die wirklichen Verhältnisse und führen zu Realitätsverlust.


    Schließlich: Wo sind eigentlich die »guten« Staaten, die tatsächlich zur Sicherung der Menschenrechte und nicht aus ganz anderen Interessen militärisch intervenieren? Ein Blick auf das vergangene Jahrhundert oder selbst nur auf dessen letzte Hälfte macht ratlos.


    Darf man – »Kollateralschäden« in Kauf nehmend – Menschen töten und ihre Lebensgrundlagen, also die Infrastruktur ihres Landes, zerstören, um die Rechte und das Leben anderer Menschen zu retten? Nach einem Vortrag zum Kosovo-Krieg fragte eine Frau: »Bei wieviel jugoslawischen Toten hört die ›humanitäre Intervention‹ auf, humanitär zu sein?«


    Für Pazifisten ist aus diesen Gründen die militärische humanitäre Intervention unannehmbar. Sie wollen doch den militärischen Konfliktaustrag zugunsten einer zivilen Konfliktbearbeitung überwinden. Dies gilt ohne Bewertung der Sympathie, die mit dem Anliegen der einen oder der anderen Seite in einem Konflikt gegeben sein mag. Wir vergessen nicht die Tragödien, die mit den gewaltsamen Kämpfen von Befreiungsbewegungen verbunden waren. Ihre hehren Ziele von Sozialismus, Freiheit und Demokratie gingen verloren, da, sehr verkürzt gesagt, im militärischen Kampf autoritäre Strukturen dominant wurden und in der Nachkriegszeit diktatorische Tendenzen begünstigten. Das galt und gilt voraussehbar auch für Revolutionskriege in Nordafrika.


    Historischer Hintergrund der arabischen Aufstände: Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine Auflösung vieler ehemaliger Kolonien statt. Dies war jedoch nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe der Herrschaft über diese neuen Staaten. Die westlichen Mächte stabilisierten ihre indirekte Herrschaft über die ehemaligen Kolonien durch eine Kooperation zwischen den herrschenden Eliten im Westen und denen in den entkolonialisierten neuen Staaten. Das Grundmuster lautete: Stabilität, Marktzugang, militärstrategische Stützpunkte und Ressourcen für die westlichen Eliten gegen die Akzeptanz der Ausplünderung und Unterdrückung der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern durch die peripheren Eliten. Diese wurden oftmals durch den Verkauf der Rohstoffe und Lizenzen ihrer Länder reich, während die Bevölkerung verarmte und die Entwicklung des Landes stagnierte. Die westlichen Ökonomien profitierten von günstig erworbenen Rohstoffen und sorgten durch Rüstungsexporte für die Stabilisierung der Diktaturen.


    Dieses Muster von Unterdrückung und Ausbeutung, das immer schon im krassen Gegensatz zu allen im Westen verkündeten Werten von Menschenrechten und Demokratie stand, wird durch die Aufstände in den arabischen Ländern in Frage gestellt. Im Rahmen der globalen Machtverschiebungen zuungunsten der westlichen Mächte wird dieser Prozeß voraussichtlich nach und nach weitere Länder erfassen.
    Einfluß sichern
    Das politische Stottern der westlichen Eliten ist auf diesen Grundwiderspruch ihrer bisherigen Politik zurückzuführen. Sie suchen nun nach einem Weg, der einerseits ihren Einfluß sichert und andererseits sie nicht zu Feinden der Reformer im arabischen Raum werden läßt. Dabei eignet sich scheinbar der Krieg gegen Ghaddafi, der sich in Afrika nicht nur Freunde gemacht hat, besonders gut. Johan Galtung warnt jedoch, der Krieg könne sich ausweiten und sogar zehn Jahre dauern.


    Selbstverständlich haben Pazifisten kein Zaubermittel, um eskalierte militärische Konflikte schnell stillzulegen. Unsere direkten Einflußmöglichkeiten bei den kämpfenden Parteien in Libyen sind gleich Null. Möglich ist aber, auf die eigene Regierung einzuwirken, indem wir für einen Waffenstillstand und eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien plädieren, indem wir großzügige humanitäre Hilfe für Kriegsopfer und Flüchtlinge auf allen Seiten einfordern und selbstverständlich auf den Stopp der Rüstungsexporte auch über Libyen hinaus dringen. Wir müssen für eine faire Berichterstattung eintreten, die nicht im Freund-Feind-Denken gefangen ist. Der westliche Anteil an der Entstehung und Stabilisierung der Diktaturen in Afrika ist zu thematisieren. Etwaigen Bemühungen, diese Verhältnisse über den Aufstand der Bevölkerungen hinaus zu retten, muß entgegengetreten werden. Mit all diesen Aktivitäten ist die Forderung zu verbinden, die präventive zivile Konfliktbearbeitung im Sinne von Friedenspolitik statt Militärpolitik zügig auszubauen.


    Pazifisten haben keinen Anlaß, sich auf Argumentationen und Kalkulationen über gewalttätige Eingriffe in Libyen im Sinne der Ideologie der militärischen humanitären Intervention einzulassen. Dabei schrecken wir nicht vor dem Vorwurf zurück, Deutschland begebe sich auf einen Sonderweg und würde sich in der NATO isolieren. Wäre es so, würden wir es begrüßen, wenn Deutschland einen Sonderweg der friedlichen Konfliktbearbeitung beschritte. Vermutlich würden manche Länder einem solchen Kurs folgen. Aus den hier genannten Gründen widerspreche ich auch dem von mir hoch geschätzten Uri Avnery, der vehement für die militärische Intervention der NATO in Libyen eintritt. Er setzt damit auf die Ideologie vom »gerechten Krieg« und knüpft mit seiner Haltung an die früheren sogenannten Solidaritätsbewegungen an, die ebenfalls für die Unterstützung des militärischen Kampfes von Befreiungsbewegungen warben. Würde Uri Avnery auch für eine ausländische Militärintervention bei einem bewaffneten Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung plädieren?


    Die großen Erfolge des gewaltlosen Aufstandes in Tunesien und Ägypten zeugen erneut von der Möglichkeit, Konflikte ohne militärische Mittel zu bearbeiten. Daran ist als Ziel einer pazifistischen Friedensbewegung festzuhalten.


    Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie (www.grundrechtekomitee.de)

  • Na mal sehen wie sich das da alles entwickelt. Jetzt wo der Herr 'Laden' per Seebestattung dahingegangen wurde :D


    Ich wünsche den Bewohnern von Libyen alles Gute und hoffe dass es dort nicht auch so abgeht wie im Irak, wenn der Westen wieder versucht seinen Stempel aufzudrücken... Die haben doch alle einen an der Pfanne X(
    [BLINK]FSK 18[/BLINK]
    http://www.youtube.com/watch?v=Bgb6PFtuZ8s





    Hier gibt es immer interessante Sachen zu lesen. Es muss ja nicht immer eine Verschwörung dahinter stehen.


    http://infokrieg.tv/wordpress/



    Gruß Woody

  • Tja, wie hieß es doch ... Die Geister die ich rief ...
    Erst unterstützter Stellvertreterkrieger, dann Staatsfeind Nr. 1.
    Eigentlich kein Wunder das Bin Laden den Ami's nicht lebend in die Hände gefallen ist, um vor Gericht gestellt zu werden. Wer weiß was da heraus gekommen wäre.
    Dumm nur das der Mob der das glaubt, nachplappert, was er täglich serviert/präsentiert bekommt.

  • "Dumm nur das der Mob der das glaubt, nachplappert, was er täglich serviert/präsentiert bekommt. "
    sehr schön formuliert! leider ist es aber so!

    "Vergessen Sie auch nicht, dass jedes Kraftfahrzeug wertvolles Volksvermögen darstellt, das möglichst lange zu erhalten nicht nur einen persönlichen Vorteil bringt, sondern auch eine nationale Pflicht darstellt!" VEB Fahrzeug - und Gerätewerk Simson, Suhl

  • Mal wieder was lesenswertes über die verschobene Wahrnemung der vermeintlichen Realitäten......



    Krieg der Begriffe
    Vorabdruck. Obama und Orwell: Die Sprache des Imperiums und das »Newspeak«
    Von Domenico Losurdo
    Palästinensische Kinder, die sich – wie hier in Hebro
    Palästinensische Kinder, die sich – wie hier in Hebron im November 2006 – mit Steinen gegen israelische Panzer wehren, gelten im Diskurs der westlichen Kriegstreiber als »Terroristen« …
    Foto: AP
    Zur Rechtfertigung von Krieg und Besatzung pflegen die herrschenden Klassen der imperialistischen Staaten und ihre folgsamen Ideologen einen ganz eigenen Diskurs: Kriege gelten als »humanitäre« Einsätze, Städte werden bombardiert, um die »Zivilbevölkerung zu schützen«, der Feind wird zum kulturlosen »Barbaren« stilisiert, und Widerstand ist grundsätzlich »Terrorismus«. In seinem neuen Buch »Die Sprache des Imperiums« versucht der italienische Philosoph Domenico Lo surdo Licht ins Dunkle des »Neusprechs« der Kriegstreiber zu bringen und, so der Autor im Vorwort des Bandes, einen »Beitrag zur Definition der zentralen Begriffe der heutigen Kriegsideologie« zu liefern. jW veröffentlicht einen Auszug aus dem 8.Kapitel der Studie, um Fußnoten gekürzt, vorab.


    Im Jahre 1949, als der Kalte Krieg wütete, der jeden Augenblick drohte, sich in einen nuklearen Holocaust zu verwandeln, veröffentlichte George Orwell seinen letzten und berühmtesten Roman: »Neunzehnhundertvierundachtzig«. Selbst wenn der Titel zukunftsorientiert klingt, nimmt das Buch eindeutig die Sowjetunion ins Visier, die als der totalitäre »Große Bruder« dargestellt wird, der sogar die Möglichkeit der Kommunikation vereitelt, weil er die Sprache verdreht und ein Newspeak (»Neusprech«) schafft, in dem den Begriffen und Wörtern die Aufgabe zukommt, die Wahrheit unkenntlich zu machen, indem sie verdreht und in ihr Gegenteil verkehrt wird. Da Orwell seinen Roman im Jahr der Gründung der NATO (des militärischen Bündnisses, das den Anspruch erhebt, auch die Sache der Moral und der Wahrheit zu verteidigen) veröffentlicht, liefert er damit seinen rechtschaffenen Beitrag zur Kampagne des Westens. Er konnte sich sicher nicht vorstellen, daß seine Anklage die Lage viel zutreffender beschrieben hätte, die ein paar Jahre nach »Neunzehnhundertvierundachtzig« mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Triumph der Vereinigten Staaten entstanden ist. Wie die militärische scheint auch die multimediale Übermacht des Westens auf kein Hindernis mehr zu stoßen: Die Verdrehung der Wahrheit wird mit einem pausenlosen und alles durchdringenden multimedialen Bombardement absolut totalitären Charakters aufgezwungen.


    Das zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit – zu Paradox gesellt sich Paradox –, während auf Libyen Luftangriffe geflogen werden, die mit der entscheidenden Unterstützung eines Friedensnobelpreisträgers und US-Präsidenten namens Barack Obama entfesselt werden, der gerade deshalb das Weiße Haus erobert hat, weil er große Hoffnungen auf Veränderungen verbreitete. In Wahrheit hat sich weder für Guantánamo (wo die des Terrorismus Verdächtigten weiterhin ohne Prozeß gefangengehalten werden) noch hinsichtlich der imperialen Arroganz Washingtons wirklich etwas geändert. Der neue Präsident hat sich vor allem darum bemüht, die Rhetorik, die seit jeher die kriegerischen Unternehmen der »von Gott auserwählten Nation« begleiten und verklären, raffinierter werden zu lassen. Wenn sich jetzt der Krieg gegen Ghaddafis Libyen auch auf multimedialer Ebene entwickelt, haben die Wörter und die Begriffe, die seine Promotoren und Protagonisten benutzen, in der Tat nur das Ziel, vollkommen unverständlich werden zu lassen, was sich auf den Schlachtfeldern, in den Verwaltungsräten der multinationalen Energiekonzerne, in den hohen Sphären der intelligence, in den Generalstäben der in den Krieg verwickelten Streitkräfte, in den diplomatischen Kreisen der Großmächte, in der Führungsspitze des Imperiums wirklich abspielt. Das Ganze wie es Orwell befürchtet hatte, als er seinen Roman »Neunzehnhundertvierundachtzig« schrieb! Hier einige Schlüsselworte des Newspeak.
    »Internationale Polizeiaktion«
    Im Krieg gegen Libyen greift ein mächtiger Militärapparat ein; selbstverständlich gibt es auch zivile Opfer der Bombardements der NATO; Waffen (mit abgereichertem Uran) werden eingesetzt, die eine Langzeitwirkung haben; neben den USA tun sich bei der Entfesselung der Feindseligkeiten und bei der Durchführung der militärischen Aktionen mit Frankreich und England zwei Länder hervor, die eine lange Geschichte der Expansion und Kolonialherrschaft im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika hinter sich haben; nach anfänglichem Zögern hat sich dem Unternehmen auch Italien angeschlossen, dessen Kolonialgeschichte direkt auf Libyen verweist und das sich von Frankreich nicht in die Ecke stellen lassen will; wir befinden uns in einem Gebiet, das reich an Erdöl und Gas ist, und niemand vergißt, daß der Hunger auf diese Energiequellen noch größer geworden ist, nachdem die Tragödie Japans einen schweren Schatten auf die Atomenergie geworfen hat; in jedem Fall bemühen sich schon seit Beginn der Bombardements die namhaftesten Experten und Massenmedien darum, die neue geopolitische und geoökonomische Ordnung zu analysieren, die aus der westlichen Intervention in Libyen hervorgehen wird. Und dennoch – versichern uns Obama, seine Mitarbeiter und seine Alliierten und Subalternen – handle es sich nicht um einen Krieg, sondern um eine »humanitäre Aktion«, die darauf abziele, die Zivilbevölkerung zu schützen und außerdem vom UN-Sicherheitsrat genehmigt worden sei.


    Völlig souverän geht im übrigen die NATO sowohl ihren Opfern als auch der Wahrheit gegenüber vor. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die militärischen Aktionen des Westens schon vor und ohne Genehmigung seitens der UNO begonnen haben. Der Sunday Mirror vom 20. März 2011 hat enthüllt, daß schon »seit drei Wochen« »Hunderte« von britischen Soldaten, eingegliedert in eines der raffiniertesten und gefürchtetsten Militärkorps der Welt (SAS), in Libyen am Werk sind; unter ihnen befanden sich »zwei wegen ihrer Zerstörungskapazitäten ›Smash‹ genannte Spezialeinheiten«.


    Die Aggression hatte also schon begonnen, zumal mit den Hunderten von britischen Soldaten auch »kleine Gruppen der CIA« in einer »ausgedehnten westlichen, im Schatten wirkenden Streitkraft« zusammenarbeiteten, die von der »Obama-Administration« schon »vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten am 19. März« damit beauftragt waren, »die Rebellen auszurüsten und das Heer Ghaddafis auszubluten«1. Es handelt sich um besonders einschneidende Aktionen, wenn man bedenkt, daß sie in einem Land durchgeführt werden, das wegen seiner Klanstruktur und wegen des seit langem bestehenden Dualismus zwischen Tripolitanien und Cyrenaica sowieso sehr fragil ist. Es handelt sich außerdem um Aktionen, die eine lange Geschichte hinter sich haben: The Observer hat berichtet, daß die englischen Geheimdienste schon 1996 vorhatten, »Oberst Ghaddafi zu ermorden«, und daß sie, nur um ihr Ziel zu erreichen, ohne Zögern »für eine Al-Qaida-Zelle in Libyen beträchtliche Geldsummen locker machten«2.


    Fünfzehn Jahre später ist es die Obama-Administration, die – wie jetzt die International Herald Tribune schreibt – »auf eine Kugel oder eine Rakete hofft, die den vierzig Jahren der Regierung des Diktators eine Ende bereite«3.


    Außerdem behalten sich die USA und der Westen selbst dann, wenn sie sich an die UNO wenden, immer das Recht vor, auch ohne die Genehmigung des Sicherheitsrats Kriege zu entfesseln: dies war zum Beispiel 1999 anläßlich des Krieges gegen Jugoslawien und 2003 anläßlich des zweiten Irak-Krieges der Fall. Nun würde kein vernünftiger Mensch einen Regierungschef als demokratisch und wirklich den Volkswillen vertretend bezeichnen, der sich folgendermaßen an sein Parlament wendet: »Ich fordere euch auf, mir das Vertrauen auszusprechen, aber auch ohne euer Vertrauen und sogar angesichts eines ausdrücklichen Mißtrauensvotums würde ich regieren, wie es mir paßt…« Doch gerade so wenden die USA und der Westen sich an die UNO! Die Abstimmungen im Sicherheitsrat werden regelmäßig durch eine unverschämte Erpressung verfälscht!


    Ist dem Sicherheitsrat erst einmal die gewünschte Resolution (mit der gerade angedeuteten Erpressung) abgerungen worden, interpretieren die USA und der Westen diese noch dazu souverän. Die Genehmigung der Einführung der »Flugverbotszone« in Libyen wird praktisch zur Erlaubnis, die militärische Gewalt zu entfesseln, das Gesetz des Stärkeren geltend zu machen und eine Art Protektorat zum Schaden des zu »schützenden« Volkes zu errichten.


    So mächtig der multimediale Apparat der Aggressoren auch sein mag, gelingt es ihm aber dennoch nicht, die Realität des Krieges zu verbergen. Doch das Newspeak streitet hartnäckig das Offensichtliche ab: es zieht es vor, von »internationaler Polizeiaktion« zu reden. Interessant kann es aber sein, auf den Hintergrund dieses Begriffs hinzuweisen. Mit einer Neuinterpretation und Radikalisierung knüpfte Theodore Roosevelt im Jahre 1904 an die Monroe-Doktrin an und begründete theoretisch, daß die »zivilisierte Gesellschaft« eine »internationale Polizeimacht« über die Kolonialvölker ausüben müsse, eine Aufgabe, die in Lateinamerika den USA zufalle. So werden wir auf die Realität des Kolonialismus und der Kolonialkriege zurückgeführt, auf die Realität, die das Newspeak vergeblich zu verdrängen versucht. (…)
    »Humanitärer Krieg«
    … während schwerbewaffnete libysche Aufständisc
    … während schwerbewaffnete libysche Aufständische – wie hier in Brega im April 2011 – zu »Zivilisten« erklärt werden
    Foto: AP
    In Anbetracht des gewaltigen Kriegsapparats der NATO, des Andauerns der militärischen Aktionen, der wachsenden Zahl der Opfer (die zivilen eingeschlossen) sind nicht alle vom Diskurs über die »Polizeiaktion«, wenn auch »internationalen« Charakters, überzeugt. Das Newspeak verliert aber deshalb nicht den Mut und hat schon eine Ersatzdefinition bereit: den »humanitären Krieg«. Es ist »der erste ›humanitäre Krieg‹« der Obama-Administration – verkündet triumphierend die International Herald Tribune – und läßt dabei durchblicken, daß es sich nur um den Anfang einer Serie handelt4. Damit dieser neue Begriff überzeugend wird, ist es notwendig, eine Woge moralischer Entrüstung auszulösen und sie auf ein ganz bestimmtes und sorgfältig ausgewähltes Ziel zu lenken.


    Im Nahen und Mittleren Osten gibt es gewiß genug Verhaltensweisen, die Entrüstung auslösen könnten. Warum sollte man nicht in gewisser Weise Stellung gegen den ununterbrochenen kolonialen Expansionismus Israels im besetzten Palästina nehmen? Die USA Obamas haben ihr Veto gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats eingelegt, die sich diesbezüglich kritisch ausdrückte. Dies geschieht nur wenige Wochen vor dem Ausbruch der libyschen Krise, die mit der Intervention des Westens eine Wendung erlebt, während gleichzeitig die Truppen Saudi-Arabiens in Bahrain zur Unterstützung der dortigen harten Repression eingreifen. Lesen wir diesbezüglich das bedeutende Zeugnis, das in der New York Times wiedergegeben wird: »In den letzten Wochen habe ich Leichen von Demonstranten gesehen, die ganz aus der Nähe erschossen worden sind, ich habe ein Mädchen gesehen, das sich nach den Prügeln vor Schmerzen wand, ich habe gesehen, wie das Personal der Krankenwagen geschlagen wurde, weil es versuchte, Demonstranten zu retten.« Und noch weiter: »Ein Video aus Bahrain scheint Sicherheitskräfte zu zeigen, die aus geringer Entfernung einen unbewaffneten Mann mittleren Alters mit einer Tränengaspatrone in die Brust treffen. Der Mann fällt zu Boden und versucht aufzustehen. Daraufhin schießen sie ihm eine Patrone in den Kopf.« Sollte das noch nicht genügen, muß man bedenken, daß es »in den letzten Tagen noch viel schlimmer geworden ist«. Noch vor der Repression kommt die Gewalt schon im täglichen Leben zum Ausdruck: Die schiitische Mehrheit ist einem »Apartheid«-Regime unterworfen.


    Der Unterdrückungsapparat wird noch verstärkt durch »ausländische Söldner« und US-amerikanische »Panzer, Waffen und Tränengas«. Die Rolle der USA ist entscheidend, wie der Journalist der New York Times klärt, wenn er eine Episode beschreibt, die schon an sich alles sagt: »Vor ein paar Wochen ist Michael Slackman, mein Kollege von der New York Times, von den Sicherheitskräften Bahrains verhaftet worden. Er hat mir erzählt, daß sie ihre Waffen auf ihn richteten. Da er fürchtete, sie würden abdrücken, holte er seinen Paß hervor und schrie, daß er ein amerikanischer Journalist sei. Von da an änderte sich plötzlich die Stimmung; der Anführer der Gruppe näherte sich und gab Slackman die Hand, wobei er freundlich sagte: ›Keine Bange! Wir mögen die Amerikaner!‹«5. Tatsächlich ist in Bahrain die 5.US-Flotte stationiert.


    Abgesehen vom Verhalten der israelischen Regierung könnte man sich also auch über das Verhalten der Regierungen von Bahrain und Saudi-Arabien entrüsten. Doch die Vorbereitung des humanitären Krieges erfordert es, daß die Entrüstung ein einziges Ziel im Auge hat. So wird Tag für Tag wiederholt, daß Ghaddafis Flugzeuge die Zivilbevölkerung bombardieren, sich schreckliche Verbrechen gegen die Menschheit und sogar Genozid zuschulden kommen lassen. Auf diese »Grausamkeiten« konzentrieren sich die entrüsteten Erklärungen der Regierenden der zum Krieg bereiten Länder und die multimediale Feuerkraft des Westens. Und dennoch sickern bei mutigen oder bloß unaufmerksamen Journalisten ein paar Bruchstücke der Wahrheit durch: Lesen wir in La Stampa vom 1. März 2011: »Es stimmt, wahrscheinlich hat überhaupt kein Bombardement stattgefunden.« Hat sich die Lage an den darauffolgenden Tagen radikal geändert? Im Corriere della Sera vom 18. März 2011 berichtet Lorenzo Cremonesi aus Tobruk: »Und wie es schon in den anderen Ortschaften geschehen ist, wo die Luftwaffe eingegriffen hat, handelte es sich hauptsächlich um Warn-Raids. ›Sie wollten uns erschrecken. Viel Lärm und kein Schaden‹ hat uns am Telefon einer der Sprecher der provisorischen Regierung gesagt.« Es sind also gerade die Rebellen, die den »Genozid« und die »Massaker« bestreiten, die als Rechtfertigung für die »humanitäre« Intervention angeführt werden.
    Dämonisierung des Gegners
    Was übrigens die Rebellen anbetrifft: Die Vorbereitung des humanitären Krieges erfordert deren Verklärung und die Dämonisierung ihrer Gegner. Die Lügen- und Manipulationsmaschine, die in Gang gebracht wird, ist beeindruckend, aber dennoch kann man in der Presse ohne weiteres Analysen finden, die sich besorgt über die Präsenz von Elementen in den Reihen der Rebellen äußern, die mit dem islamischen Radikalismus verbunden und über die Frauenemanzipation entrüstet sind, die in Ghaddafis Libyen realisiert bzw. erzwungen worden sei. In einer angesehenen US-amerikanischen Zeitschrift kann man noch etwas Wichtigeres lesen: »Die Rebellen haben schwarze Afrikaner, die Kriegsgefangene waren, als Söldner erschossen«; manchmal seien die schwarzen Afrikaner gelyncht oder von den Schiffen aus ins Meer geworfen worden, von jenen Schiffen, die die europäischen Regierungen für die Evakuierung der Zivilbevölkerung zur Verfügung gestellt haben6. Es stimmt – bestätigt eine weitere, ebenfalls über jeden Verdacht erhabene Quelle –, auch wehrlose afrikanische Migranten, die von den Feinden Ghaddafis mit Söldnern seines Regimes verwechselt wurden, seien ermordet worden7.


    Haben wir es mit einem Ausbruch von Rassismus zu tun? Gegen diese Plage scheinen auch die westlichen Medien nicht ganz immun zu sein: Dem Newspeak huldigend, reden sie in bezug auf die privaten (sehr gut bezahlten) Berufskrieger an der Seite des US-Heeres im Irak oder in Afghanistan mit Respekt von »contractors«, während sie die Verachtung, die man für »Söldner« verspürt, ausschließlich den in Ghaddafis Armee angeheuerten Barbaren vorbehalten. Was die Rebellen betrifft, gehen sie zwar besonders grausam gegen die schwarzen Afrikaner vor, doch auch ihr Verhalten den Libyern im engeren Sinn gegenüber ist nicht untadelig, zumindest nach einer Korrespondenz im Corriere della Sera zu schließen: »In der allgemeinen Verwirrung auch Plünderungsepisoden. Besonders gut sichtbar im Hotel El Fadeel, wo (die fliehenden Rebellen) Fernseher, Decken, Matratzen mitgenommen und die Küchen in Mülldeponien, die Korridore in schmutzige Nachtlager verwandelt haben.«8 Das scheint nicht gerade das Verhalten einer Befreiungsbewegung zu sein! Jedenfalls lassen die von den Rebellen an den schwarzen Afrikanern begangenen »Grausamkeiten« das Bestehen auf den »Grausamkeiten« Ghaddafis als zumindest einseitig erscheinen.


    Die übliche manichäische Darstellung des Konflikts erklärt eine Tradition, die weit zurückreicht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war auch Bismarck versucht, sich an dem vom Zweiten Reich sowie von den anderen westlichen Mächten im Namen der Ausbreitung der Zivilisation und der Verteidigung der humanitären Prinzipien vorangetriebenen kolonialen Expansionismus zu beteiligen. So fragte er, an seine Mitarbeiter gewandt: »Kann man nicht schaurige Details über Menschenquälerei auftreiben?« Auf der Woge der dadurch ausgelösten moralischen Entrüstung wäre es dann leichter gewesen, zum Kreuzzug gegen die afrikanische und islamische Barbarei aufzurufen und die internationale Rolle Deutschlands zu stärken. Man denkt hier sogleich an Ghaddafis »Grausamkeiten«, die die unbezähmbare moralische Entrüstung des Westens hervorrufen. Außerdem kommt einem der denkwürdige Aphorismus in den Sinn, mit dem Nietzsche die Heuchelei dieser Haltung entlarvt: »Niemand lügt soviel als der Entrüstete«.
    Zivilisten und Aufständische
    Die internationale Polizeiaktion bzw. der gegen Libyen entfesselte humanitäre Krieg habe zum Ziel, die »Zivilisten« vor dem von Ghaddafi verübten bzw. geplanten Massaker zu schützen: dies wiederholt das Newspeak unaufhörlich. Doch – entgegnet der Jurist Reinhard Merkel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – »kämpfende Aufständische, und wären sie Stunden zuvor noch Bäcker, Schuster und Lehrer gewesen, sind keine Zivilisten«9. Nein – unterstreicht ein so namhafter Philosoph wie Michael Walzer –, es ergibt keinen Sinn, von »einer humanitären Intervention zur Beendigung eines Massakers zu sprechen«10.


    Die wirksamste Widerlegung des Newspeak wird von denselben Presseorganen geliefert, die darum bemüht sind, dieses zu verbreiten. Der Corriere della Sera vom 20. März 2011 rückt das Foto eines Flugzeugs in den Vordergrund, das brennend vom Himmel Bengasis herabstürzt. Sowohl die Bildunterschrift als auch der entsprechende Artikel erklären, daß es sich um ein »Jagdflugzeug« handelt, das von einem der »erfahrensten Jagdflieger« der Rebellen gesteuert und von einer »Boden-Luft-Rakete Ghaddafis« abgeschossen worden ist. Weit entfernt, unbewaffnet zu sein, verfügen die Rebellen über raffinierte Angriffswaffen, und außerdem wurden sie von Anfang an von der CIA und anderen Geheimdiensten, von einer »ausgedehnten westlichen Streitkraft, die im Schatten handelt«, und von britischen Spezialeinheiten unterstützt, die für ihre »Zerstörungskapazitäten« berühmt und berüchtigt sind. Wären das also die »Zivilisten«? Mit der Intervention einer gewaltigen internationalen Streitkraft an der Seite der Rebellen ist jetzt höchstens die entgegengesetzte Front im wesentlichen unbewaffnet. Es kann aber opportun sein, eine weitere Überlegung über die hier zur Frage stehende Kategorie anzustellen. Wir haben schon unverdächtige Quellen (wie maßgebliche israelische Intellektuelle und die International Herald Tribune – in einem vorhergehenden Kapitel des Buches ausgewiesen – d. Red.) zitiert und darauf hingewiesen, daß die israelische Regierung in die offizielle Zählung der »feindlichen Terroranschläge« auch den »Steinwurf«, ja sogar den Steinwurf von Kindern einschließt. »Ein zehnjähriges Kind ist an einem check point an der Ausfahrt aus Jerusalem von einem Soldaten getötet worden, auf den es nur einen Stein geworfen hatte.« Hier feiert das Newspeak seinen Triumph: Ein erfahrener Jagdflieger, der in einem Jagdflugzeug kämpft, ist ein »Zivilist«, doch ein Kind, das Steine auf die Okkupationstruppen wirft, ist eindeutig ein »Terrorist«!


    Anmerkungen


    1 »C.I.A. operatives present in Libya«, in: International Herald Tribune, 31.3.2011


    2 »MI6 ›halted bid to arrest bin Laden‹«, in: The Observer, 10.11.2002


    3 »As war in Libya drags on, U.S. goals become harder«, in: International Herald Tribune, 12.4.2011


    4 ebd.


    5 »Bahrein pulls a Qaddafi«, in: New York Times, 16.3.2011


    6»The Battle for Libya«, in: The New York Review of Books, 7.4.2011


    7 Germano Dottori: »Disinformacija. L’uso strategico del falso nel caso libico«, in: Limes. Rivista italiana di geopolitica, Nr. 1 2011


    8 »La ritirata dei ribelli sotto le bombe dei miliziani«, in: Corriere della Sera, 12.3.2011


    9 »Der libyische Aufstand gegen Gadaffi ist illegitim«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.3.2011


    10 »Nur bei Völkermord. Tyrannensturz ist kein Kriegsgrund, findet Michael Walzer«, in: Die Zeit, 24.3.2011


    Der Autor lehrt Philosophie an der Universität Urbino. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu historischen und philosophischen Themen. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch: Freiheit als Privileg. Eine Gegengeschichte des Liberalismus, PapyRossa-Verlag, Köln 2010

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    Zerrissenes Land
    Hintergrund. Libyen: 42 Jahre Volks-Dschamahirija. Eine Analyse aus sozioökonomischer Sicht: Schaukelpolitik im Zeichen der Krise



    Anfang Oktober erscheint im Promedia Verlag, Wien, ein von Fritz Edlinger herausgegebener Band mit Hintergrundberichten und Analysen zu Libyen. Das Buch wird Texte von Karin Leukefeld, Peter Strutynski, Thomas Hüsken, Konrad Schliephake, Awni al Ani, Stefan Brocza und anderen enthalten. Wir veröffentlichen aus dem Band vorab den Beitrag von Gerd Bedszent und danken dem Promedia Verlag, daß er uns den Artikel aus aktuellem Anlaß bereits jetzt zur Verfügung gestellt hat.
    Im ersten Teil, erschienen in der Wochenendausgabe, wurde die Entwicklung Libyens von einer Agrarkolonie Italiens zu einem souveränen Staat nachgezeichnet. Dargestellt wurde der glücklose Versuch Muammar Al-Ghaddafis, nach dem Militärputsch von 1969 eine »Herrschaft der Massen« (Volks-Dschamahirija) durchzusetzen, um die soziale Basis seines Regimes zu verbreitern und so das gesamtstaatliche Modernisierungsprogramm dauerhaft gegen partikulare Stammesinteressen durchzusetzen.
    Die zuweilen äußerst abenteuerliche Politik der Volks-Dschamahirija ist zumindest in den Anfangsjahren mit Ghaddafis entschiedenem Haß auf den europäischen Kolonialismus zu erklären. Für die angestrebte Modernisierung der libyschen Gesellschaft fand der Revolutionäre Militärrat in der panarabischen Ideologie eine geeignete politische Programmatik.


    Als die britischen und US-amerikanischen Militärstützpunkte geschlossen wurden, konnte sich der Revolutionsrat des Beifalls der libyschen Bevölkerung, der übrigen arabischen Welt und des sozialistischen Osteuropas sicher sein. Um mit den ehemaligen Kolonialmächten und den USA militärisch gleichzuziehen, unternahm Libyen in den Folgejahren mehrere – vergebliche – Versuche, das eigene Militär mit Massenvernichtungswaffen aufzurüsten.


    Getreu dem Motto »Der Feind deines Feindes ist dein Freund« unterstützte Ghaddafi in den 1970er und 1980er Jahren verschiedene militante Gruppen der westeuropäischen und palästinensischen Linken; libysche Geheimdienstler sollen auch persönlich in verschiedene Anschläge verwickelt gewesen sein. Dieser Verdacht diente seit 1973 immer wieder als Anlaß, Libyen mit Wirtschaftssanktionen zu belegen. In den 1980er Jahren erfolgten Zusammenstöße mit dem US-Militär, das schon damals, am 14./15. April 1986, die Hauptstadt Tripolis bombardiert hatte.


    Im Sinne der panarabischen Ideologie unternahm Ghaddafi zahlreiche Versuche, Libyen mit verschiedenen Nachbarstaaten in einer Union zusammenschließen. Sämtliche dieser Projekte scheiterten entweder schon in der Verhandlungsphase oder aber hatten langfristig keinen Bestand. Ebenfalls aus der panarabischen Ideologie heraus sind Ghaddafis heftige Verbalattacken gegen Israel zu verstehen. Er ließ es jedoch nie zu einer offenen militärischen Konfrontation kommen, auch nicht, als die israelische Luftwaffe im Februar 1973 über der Sinai-Halbinsel ein libysches Passagierflugzeug abschoß.


    Das libysche Militär führte jahrelang einen unerklärten Krieg gegen das Nachbarland Tschad, da Libyen die Grenzziehung zwischen den damaligen Kolonialmächten Italien und Frankreich nicht anerkannte. Hintergrund der Auseinandersetzungen waren aber in Wahrheit die Uranerzlagerstätten in diesem Gebiet. Libyen unterstützte Rebellenverbände im Tschad mit Waffen und Geld und rüstete eine multinational zusammengewürfelte »islamische Legion« auf. Nach dem militärischen Eingreifen Frankreichs erlitt Libyen eine Niederlage, Ghaddafi mußte schließlich seine Truppen aus dem Tschad zurückziehen.


    In den 1990er Jahren trat in der libyschen Führung an die Stelle der gescheiterten panarabischen Ideologie zeitweilig eine panafrikanische: Ghaddafi machte palästinensische Arbeitsmigranten für die zunehmende Ausbreitung des Islamismus verantwortlich und ließ Zehntausende von ihnen ausweisen. Da die libysche Wirtschaft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen war, öffnete Ghaddafi in der Folge die Grenzen für Arbeitsmigranten aus dem Süden, gefiel sich mehrere Jahre lang in heftiger Parteinahme für schwarzafrikanische Staaten und ließ sich in einer PR-Aktion von 200 afrikanischen Fürsten und Königen zum »König der Könige« krönen. Später schloß Libyen seine südlichen Grenzen wieder und warf einen großen Teil der afrikanischen Gastarbeiter aus dem Land.



    Bereits in den 1990er Jahren konnte man absehen, daß die Bildung einer libyschen Nation gescheitert war und ein Auseinanderbrechen des Staates entlang der Stammesgrenzen bevorstand. Trotz des mit Brachialgewalt vorangetriebenen Modernisierungsprogramms war es nicht gelungen, die traditionelle Stammesgesellschaft aufzulösen. Im Hintergrund der offiziell propagierten Volksdemokratie tobten andauernd Machtkämpfe zwischen Angehörigen der verschiedenen Clans. Das System der Volks-Dschamahirija funktionierte als ein labiles Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Stammes- und Claninteressen, das Ghaddafi lange Zeit aufrechtzuerhalten verstand. Doch es funktionierte nur, solange die libysche Gesellschaft sich im wirtschaftlichen Aufschwung befand.



    Das staatliche Modernisierungsprogramm war Ende der 1980er Jahre an seine Grenzen gestoßen. Die meisten Produkte der neu errichteten Industrieanlagen und dank des Bewässerungsprojektes erschlossenen Agrarflächen erwiesen sich als überteuert und auf dem Weltmarkt nicht absetzbar. Dies lag weniger an der vielbeschworenen »Mißwirtschaft« der libyschen Staatsbürokratie als vielmehr daran, daß Libyen ein »Zuspätkommer« in der Reihe der Industrienationen war. Ein Hineindrängen in längst aufgeteilte Absatzmärkte kann im Regelfall nur auf der Basis von Niedriglöhnen erfolgen. Da diese in der libyschen Gesellschaft trotz des massiven Einsatzes von Billiglohn-Gastarbeitern aus den Nachbarländern nicht durchsetzbar waren, blieb nur die Subventionierung von Produkten auf der Basis der Öleinnahmen. Eine solche volkswirtschaftliche Umschichtung widerspricht zwar eklatant den Grundlagen neoliberalen Wirtschaftens, ist aber durchaus nichts Ungewöhnliches. Die Abhängigkeit der gesamten Volkswirtschaft von Ölexporten war der Hintergrund, vor dem Ghaddafi trotz seiner zeitweise heftigen antiwestlichen Rhetorik jahrzehntelang als zuverlässiger und vertragstreuer Handelspartner und Lieferant der westlichen Staaten galt.



    Die Abhängigkeit von der Ölförderung erwies sich für das libysche Entwicklungsmodell jedoch langfristig als fatal. Als der Absatz stockte und die Preise in den Keller fielen, fehlten dem libyschen Modernisierungsprogramm mit einem Mal die Grundlagen. Mitte der 1990er Jahre waren die Öleinnahmen auf ein Drittel des Standes von 1980 gesunken. Im reichen Libyen wurden plötzlich monatelang keine Gehälter mehr gezahlt, Angestellte mußten schlecht bezahlte Zweitjobs annehmen. Und im florierenden Schwarzmarkt, jenseits des staatlich organisierten Handels, explodierten die Preise.



    Wo es nichts mehr zu verteilen gibt, funktioniert auch die erkaufte Loyalität nicht mehr: Die oppositionellen Kräfte erstarkten zunehmend. Entmachtete Armeeoffiziere verbanden sich mit traditionalistischen Clanchefs und gewesenen islamischen Würdenträgern, und vor allem in der ehemaligen Senussi-Hochburg Kyrenaika organisierten sich islamistische Geheimbünde, die von den im benachbarten Ägypten starken Muslimbrüdern gefördert und offenbar auch von westlichen Geheimdiensten insgeheim hochgepäppelt wurden.



    Ghaddafi reagierte mit der für ihn typischen Schaukelpolitik und versuchte, das gestörte Gleichgewicht in der libyschen Gesellschaft wiederherzustellen. Putschversuche des Militärs und islamistische Aufstände ließ er brutal niederschlagen – die dabei ausgeübte Repression hob sich allerdings nicht sonderlich von anderen nationalistischen Regimes in der Region ab. Gleichzeitig aber versuchte Ghaddafi, der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er sich ihre Forderungen zu eigen machte: Im weitgehend laizistischen Libyen wurde 1994 die Scharia wieder eingeführt (allerdings kaum angewendet). Die Macht der Revolutionskomitees wurde zurückgedrängt, eine Liberalisierung des Wirtschaftslebens angekündigt und schrittweise ein Drittel der Staatsbetriebe privatisiert.



    Die Auslieferung von libyschen Geheim dienstoffizieren an ein schottisches Gericht wegen des Attentats von Lockerbie (21.12.1988) sowie Entschädigungszahlungen faßte der Westen zutreffend als Kniefall auf. In der Folge wurden Wirtschaftssanktionen und das Waffenembargo ausgesetzt. Ghaddafi war plötzlich ein bevorzugter Partner: Milliardeninvestitionen flossen in die libysche Wirtschaft, veraltete Ölförderanlagen wurden saniert, staatliche Investitionsprogramme zunehmend an westliche Firmen vergeben und das Militär von westeuropäischen Waffenschmieden neu aufgerüstet.



    Flankiert wurde Ghaddafis politischer Schwenk durch eine nationalistische Rhetorik, die ausgerechnet die Schwächsten im Lande traf. Von über zwei Millionen Gastarbeitern, die in der Zeit des »libyschen Wirtschaftswunders« ins Land geströmt waren, blieben bis ins Jahr 2006 nur etwa 600000 übrig. Auch Angehörige nicht-arabischer Stämme wurden nun als »Ausländer« betrachtet und ausgewiesen. Zu den finstersten Kapiteln der Ghaddafi-Ära gehören die Pogrome gegen afrikanische Gastarbeiter im Jahre 2000, bei denen über 130 Menschen starben.
    Bürgerkrieg und Intervention
    Immer mehr entpuppt sich der Kampf gegen Ghaddafi als Krieg um das Öl im Land



    Die verstärkte Zusammenarbeit Libyens mit der Europäischen Union äußerte sich auch in der Gewährung von Wirtschaftshilfen. Als Gegenleistung kooperierte Ghaddafi , damals Duzfreund des italienischen Premiers Berlusconi und des österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider, mit der italienischen Marine und der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex. Libyen war der erste afrikanische Staat, der sich umfassend in das europäische Sicherungssystem zur Migrationsabwehr integrieren ließ. Hunderte von Booten mit afrikanischen Elendsflüchtlingen, die über das Mittelmeer in Richtung Europa strebten, wurden seitdem von der libyschen Marine aufgebracht, Zehntausende Migranten interniert und zurück in Richtung Hunger und Bürgerkriegs chaos abgeschoben. Allein im Jahre 2006 wurden von der libyschen Regierung 60000 illegale Einwanderer in Lagern festgehalten.



    Ghaddafis Annäherung in Richtung Westen hatte ihre Hauptursache in der seit den 1990er Jahren unübersehbaren Stagnation. Mittels der Wirtschaftsreformen wurde ein bescheidener Aufschwung erreicht – Libyen war bis zum Ausbruch der Unruhen wieder der weltweit achtgrößte Ölproduzent. Außerdem baute das Land dank der sprudelnden Öleinnahmen seine Schulden fast vollständig ab. Die wirtschaftspolitische Öffnung führte jedoch dazu, daß die libysche Gesellschaft sozial stark ausdifferenziert wurde. Durch ein Privatisierungsprogramm wurde nicht der propagierte »Volkskapitalismus« geschaffen. Statt dessen ging ein großer Teil der nunmehr privaten Unternehmen an westliche Konzerne, andere gerieten in die Hände einer Schicht privilegierter Angehöriger der Staatsbürokratie.



    Korruption war in Libyen trotz mehrerer Gegenkampagnen während der gesamten Ghaddafi-Ära verbreitet. Mit dem Entstehen eines privaten Wirtschaftssektors wurde die zuvor illegale Bereicherung jedoch faktisch legalisiert, wobei insbesondere Angehörige von Ghaddafis Familien clan mit gutem Beispiel vorangingen. Mit der hemmungslosen Selbstbedienung einer privilegierten Oberschicht am Staatsvermögen entstand jedoch auch eine zunehmend verarmte Schicht.



    Durch die Privatisierung eines großen Teils der Staatsbetriebe stieg die Erwerbslosigkeit rapide an und betrug zuletzt an die 30 Prozent. Insbesondere die jüngere Generation sah für sich keine Perspektive mehr, die Jugendarbeitslosigkeit lag bei 40 bis 50 Prozent. Dies und die ständig steigenden Lebenshaltungskosten verbitterten Teile der Bevölkerung, während die neureiche Oberschicht nicht genug bekam und sich nach dem Wohlstand der Golf-Emirate sehnte. Libyens westlichen Partnern gingen wiederum die bereits eingeleiteten Reformen nicht weit genug. Sie erwarteten eine Streichung aller Subventionen sowie einen vollständigen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Noch im Frühjahr 2010 sicherte Ghaddafi zu, in den Folgejahren die gesamte Wirtschaft der Kontrolle privater Investoren zu übergeben. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.



    Um den vom Westen erhobenen Forderungen nach politischer Liberalisierung nachzukommen, wurden in den Jahren 2006 und 2009 Amnestien erlassen. Dies erwies sich als ein verhängnisvoller Fehler: Zahlreiche inhaftierte Islamisten kamen so auf freien Fuß und verstärkten die Reihen der Opposition.



    Angesichts der fortdauernden Krise der libyschen Gesellschaft traf Ghaddafi mehrere Entscheidungen, die ihn vermutlich das Vertrauen seiner westlichen Partner kosteten. In Verhandlungen mit der italienischen Regierung forderte er ultimativ eine Erhöhung der Wirtschaftshilfe und drohte, andernfalls die Abwehr afrikanischer Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer einzustellen. Im Jahre 2009 verstaatlichte Libyen Eigentum der kanadischen Ölfirma Verenex. Aus Sicht der Ölindustrie und des Westens war Ghaddafi nun nicht mehr tragbar. Man lauerte nur noch auf eine günstige Gelegenheit, ihn loszuwerden.



    Trotz des im Vergleich zu den Nachbarstaaten immer noch vorhandenen Wohlstands der Bevölkerung war es nur folgerichtig, daß Anfang 2011 die Welle von Zusammenbrüchen repressiver Regimes in der arabischen Welt auch auf Libyen überschwappte. Auslöser waren soziale Forderungen der städtischen Unterschicht, Proteste gegen Willkür und Korruption und hauptsächlich von Gruppen junger Intellektueller formulierte Forderungen nach Demokratisierung und Einhaltung elementarer Menschenrechte. Nach Angriffen revoltierender Jugendlicher auf öffentliche Einrichtungen reagierten Polizei und Geheimdienst in gewohnter Manier.



    In der Kyrenaika nutzten der islamistische Untergrund und mit Ghaddafis Herrschaft unzufriedene Stammesführer die Situation, um in verschiedenen Städten die Macht an sich zu reißen. Daß die unter der Decke der Volks-Dschamahirija offiziell geeinte libysche Nation tatsächlich tief gespalten war, zeigte sich auch daran, daß Teile von Militär und Staatsbürokratie umgehend zu den Aufständischen überliefen. Mit den ursprünglichen Protesten hatte der Machtwechsel in der Kyrenaika allerdings nur mittelbar zu tun – so war von den anfangs geäußerten sozialen Forderungen sehr schnell keine Rede mehr. Die derzeit in Bengasi residierende Übergangsregierung besteht hauptsächlich aus vom Westen ausgehaltenen Exilpolitikern und neoliberal eingefärbten Wirtschaftsfunktionären, denen die Privatisierungswelle der letzten Jahre nicht weit genug ging, sowie unzufriedenen Stammesführern und radikalen Islamisten. Die einzige Gemeinsamkeit dieses äußerst heterogenen Bündnisses besteht in der Forderung nach dem Sturz Ghaddafis.



    Die Mehrheit des Militärs und verschiedene Stämme Tripolitaniens und des Fessan hegen allerdings für dieses zusammengewürfelte Oppositionsbündnis kaum Sympathien. Sie stehen lieber loyal zum Regime oder wahren zumindest Neutralität. Nach einer Phase der Stabilisierung schien Ghaddafis Militär die abtrünnigen Städte des Ostens zurückzuerobern. Doch das militärische Eingreifen des Westens wendete das Blatt– derzeit (Mitte August 2011 – d. Red.) scheint sich eher ein Sieg der Aufständischen abzuzeichnen oder aber ein militärisches Patt von langer Dauer.



    Daß in Gestalt der rechtsgerichteten Premiers Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi ausgerechnet zwei Politiker maßgeblich den Sturz Ghaddafis betrieben, die zuvor am engsten mit ihm zusammengearbeitet hatten, ist ein gelungener Treppenwitz der Geschichte. Es mag die Gier nach den libyschen Ölvorkommen sein, die diese Staatschefs zum militärischen Abenteuer bewog – oder auch der Wunsch nach einer späten Revanche für die im vorigen Jahrhundert verlorenen Kolonialkriege.



    Warum Ghaddafi sich nicht, wie die gestürzten Diktatoren von Tunesien und Ägypten, beizeiten davonmachte, als die Protestwelle Libyen erreichte, darüber kann man nur mutmaßen. Vielleicht lieferte er eine grandiose Fehleinschätzung der Lage, als er hoffte, das Ruder noch einmal herumreißen und seine Macht behaupten zu können. Oder es mag ihn das Bewußtsein darüber geführt haben, daß er ausgespielt hat und die sogenannte internationale Gemeinschaft ihn keineswegs ungeschoren davonkommen lassen wird. Möglicherweise möchte der langjährige Politschauspieler der Welt einen grandiosen Abgang vorführen: ein heroisches Ende inmitten letzter Getreuer in den Trümmern des zerbombten Palastes. Oder es kommt wieder der Antiimperialismus seiner Jugendzeit zum Vorschein: Ghaddafi will nach dem Beispiel seines Großvaters bis zuletzt Widerstand leisten gegen den Kolonialismus und dessen einheimische Helfershelfer.
    Ausblick



    Der blutige, partielle Zusammenbruch des Ghaddafi-Regimes entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Krieg um das Öl im Land. Es ist kein Zufall, daß die westlichen Staaten sehr schnell in den libyschen Bürgerkrieg eingriffen; bei den Umstürzen in Tunesien und Ägypten wurde dies nicht einmal im Ansatz erwogen. Ghaddafi galt als unsicherer Kantonist, dem man seine antiimperialistische Vergangenheit und seine scheinbar unberechenbaren politischen Schwenks übelnahm. In einem Regimewechsel sehen der Westen und seine Ölkonzerne eine gute Gelegenheit, sich die im Staatsbesitz befindlichen Teile der libyschen Wirtschaft anzueignen und das noch immer halbwegs funktionierende Sozialsystem zu zerschlagen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings eher fraglich. Die nun schon seit Monaten andauernden Kämpfe ließen die Ölförderung massiv einbrechen. Und Teile der Anti-Ghaddafi-Allianz scheinen kaum gewillt, die von ihnen kontrollierten Ölvorkommen für ein Spottgeld zu verscherbeln.



    Der sogar in linken Kreisen bejubelte »demokratische Aufbruch« in Libyen dürfte sich für die Bevölkerung langfristig eher fatal auswirken. Nicht nur, weil die meisten Rebellen alles andere als Demokraten sind und der Aufstand von blutigen Pogromen gegen nicht-libysche Gastarbeiter flankiert wurde. An den unter Ghaddafi begangenen Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen gibt es nichts schönzureden. Dennoch handelt es sich bei seinem Regime um einen Rest des antikolonialen Aufbruchs der 1960er Jahre, der in kolonial heruntergewirtschafteten Territorien eine nachholende Modernisierung in Gang brachte. Eine Demokratisierung der libyschen Gesellschaft, wie sie vom Westen offiziell propagiert wird, könnte nur auf Grundlage eines neuen Modernisierungsschubs erfolgen, für den aber derzeit überhaupt nichts spricht. Der jetzt tobende Bürgerkrieg ist kein Kampf zwischen Diktatur und demokratischer Opposition, sondern primär ein simpler Verteilungskampf um die Reste des gescheiterten Modernisierungsversuchs. Die vom Westen angestrebte neokoloniale Inbesitznahme der Ölfelder dürfte den bereits begonnenen Prozeß der Entstaatlichung Libyens eher beschleunigen und einen schnellen Rückfall der libyschen Gesellschaft in die vormoderne Barbarei einläuten.



    Sollten die mit Rückendeckung der westlichen Staatenallianz agierenden Rebellengruppen siegen, wird dies den Bürgerkrieg schwerlich beenden. Der nächste Konflikt zwischen Anhängern islamistischer Gruppen und abtrünnigen Wirtschaftsfunktionären der Ghaddafi-Ära ist bereits ausgemacht – antiwestlicher Fundamentalismus ist mit neokolonialem Ausverkauf kaum zu vereinbaren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es zu Verteilungskämpfen zwischen den Clans kommen, von denen jeder einen möglichst großen Happen vom Ölkuchen abbekommen will. So könnte auch der Import libyschen Öls für die Abnehmer zu riskant werden.



    Sowohl die sich abzeichnende Auflösung Libyens in vormoderne Stammesterritorien als auch eine mögliche Besetzung des Landes durch westliche Militärs würden letztlich in einem blutigen Chaos münden, verglichen mit dem selbst die repressivsten Perioden der Ghaddafi-Herrschaft als friedlich und zivilisatorisch durchgehen können – die Invasionen im Irak, in Afghanistan und Somalia haben dies bewiesen. Die Zukunft wird für die libysche Bevölkerung nicht rosig aussehen. Eher pechschwarz.


    aus: Fritz Edlinger (Hg.), Libyen. Hintergründe, Analysen, Berichte. Erscheint Anfang Oktober im Promedia Verlag, Wien, ca. 224 S., ca.15,90 Euro

  • Das klingt nicht so richtig gut. Wahrscheinlich geht Nordafrika jetzt erst mal durch ein tiefes Tal gesellschaftlichen Chaos.
    Bis sich dann in ein paar Jahren neue Machtstrukturen etabliert haben


    Bernd

    Gewinne Zeit durch vorher Nachdenken.
    lura

  • In Nordafrika werden die neuen machtstruckturen sicherlich BP, Shell usw. heißen :(|.
    In den Nachrichten wurde doch schon mitgeteilt das Ausländische Unternehmen ( Mineralölkonzerne ) 8o Mitarbeiter nach Libyen
    geschickt hat um beim Aufbau zu helfen.
    Um was wird es da gehen, bestimmt nicht um Bildung und Essen.

    { mein IFA macht keinen Feinstaub, es kommen ganze Stücke )