Moin Moin,
nachdem sich unser Leben nach dem Ende der großen Reise nun (leider) wieder normalisiert hat, möchte ich mein Versprechen einlösen und über das Erlebte berichten. Geplant war zwar eine halbjährige Tour bis Zentralasien, aber bereits zum Sommerbeginn 2018 war klar, dass dies aufgrund der vielen Standschäden (siehe Beitrag bei IFA-Tours) am L60 nicht möglich sein wird. Zum Novemberanfang 2018 sind wir schließlich gen Süden losgefahren und damit gerade noch dem ersten deutschen Frost entkommen. Obwohl die Elternzeit bereits im Februar 2019 wieder endete und somit auch unsere Reisezeit, waren es tolle Monate mit vielen unerwarteten Bewegnungen, auch ein bisschen Ärger, aber vor allem unauslöschbaren schönen Erinnerungen:
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Bild 01 Ein Hauch Offrad im Küstenwald der Westtürkei
Zuallererst möchte ich die häufigste Frage in dem Zusammenhang beantworten: "Wie könnt ihr euch das zeitlich und finanziell leisten?"
Die Zeitfrage ist schnell beantwortet. Susi war befristet beschäftigt und mit Reisebeginn somit schlicht arbeitslos. Ich habe für die Tour unbezahlte Elternzeit genommen. Bis zum dritten Geburtstag des Kindes besteht darauf ein Rechtsanspruch.
Um das Geld für diese Eskapade aufzubringen, haben wir lange im Vorfeld gespart. Zum einen verkauften wir einen Teil des Hausstandes bzw. verzichteten auf teure Alltagsannehmlichkeiten wie essen gehen/Kino usw. und zum anderen war unsere Wohnung in der Elternzeit untervermietet. Somit benötigten wir als dreiköpfige Familie in der Reisezeit im Durchschnitt nur 1250 € pro Monat, inklusive aller Posten wie Diesel, Auslandskrankenversicherung, Maut, Essen und aller laufenden Kosten daheim. Einen großen Anteil am Sparen hatte auch die Langsamkeit des Reisens. Sponsoren hatten wir leider keine.
Für einen besser Eindruck der Reiseroute habe ich sie hier als interaktive Karte zusammengefasst. Insgesamt waren es knapp 6200 Kilometer durch:
Deutschland-Tschechien-Slowakei-Ungarn-Serbien-Mazedonien-Griechenland- Türkei-Bulgarien und ab dort wieder retour
Falls euch speziell Mautkosten/Mautverfahren und die jeweiligen Grenzübertritte interessieren, dann gebt Bescheid, weil ich das dann in einen gesonderten Beitrag schreiben würde.
Überraschender Weise hatten wir auf der gesamten Tour, trotz der Größe des Campers, lediglich zwei Nächte auf einem Campingplatz. An allen anderen Tagen war frei zu stehen kein Problem. Eventuell lag das aber auch daran, dann gerade keine Urlaubssaison war.
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Bild 02 An diesem Strand der griechischen Chalkidiki verbrachten wir fast vier Wochen
Bild 03 Wenn wir nicht selbst suchen, nutzen wir, wie hierfür, die App park4night zur Stellplatzsuche
Vorgeplant hatten wir für die Reise so gut wie nichts. Die wechselnde Fahrbegeisterung eines Kindes, die Störanfälligkeit der alten Technik und die Möglichkeit spontane Chancen auf unvorhersehbare Erlebnisse zu nutzen, waren uns zu große Unsicherheitsfaktoren. Bereuen mussten wir diese Flexibilität so gut wie nie. Immer wenn es Probleme gab oder ein Ort besonders schön war, konnten wir problemlos verweilen. Eine dieser spontanen Chancen waren zum Beispiel die heißen Quellen von Eleftheres, die nur durch Zufall an unserer Reiseroute lagen:
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Bild 04 Der verlassene Kurort der heißen Quellen von Eleftheres
Bild 05 Gerade bei wenigen Grad Lufttemperatur und Regen sind die heißen Schwefelquellen ein Vergnügen
Ursprünglich konnte sich hier eine große Zahl von Kurgästen im warmen Schwefelwasser erholen. In Zeiten der Krise ist das Gelände nun jedoch verfallen. Lediglich eine paar Anwohner der Umgebung, durchreisende Bulgaren, wir als Reisende und ein paar sehr gastfreundliche Hausbesetzer sind hier und da in den Natursteinpools neben dem kalten Bergfluss anzutreffen. Trotzdem ist es ein wunderbarer Ort. In einer Mischung aus Endzeitstimmung und Naturwellness verbringen wir mehrere Tage zwischen den Häuserruinen. Besonders schön wird diese Zeit, weil wir auf dem Gelände eine andere deutsche Familie treffen, die ebenfalls im Lkw unterwegs ist. Sie leben in einem Magirus Mercur, der im vorherigen Leben eine Feuerwehr war - ein senstionell sympatisches Fahrzeug!
Da Arttu sehr gern mit den beiden größeren Geschwistern der Familie spielt und wir uns mit ihren Eltern auch prima verstehen, entsteht in den nächsten Wochen eine sehr angenehme Reisefreundschaft. Sobald alle das gleiche Tagesziel haben, verabreden wir ein Treffen, um Zeit miteinander zu verbringen.
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Bild 06 Es ist immer schön Gleichgesinnte zu treffen
Die spannendste Zeit der Reise erleben wir in der Türkei. Etwas hatten wir überlegt, ob das zur sogenannten "heutigen Zeit" eine gute Idee ist dorthin zu fahren, haben es aber dann doch einfach ausprobiert. Ganz sicher bietet die türkische Politik genügend Zündstoff für abendfüllende Diskussionen. Aber ein Grund um diesem schönen Land fern zu bleiben, ist das aus unserer Sicht nicht. Mit Ausnahme der von Betrunkenen geklauten Lkw-Einstiegsleiter, haben wir keinerlei negative Erfahrungen mit den Menschen der Türkei gemacht. Ganz im Gegenteil; selbst an den entlegensten Orten hatten wir oft Zufallsbesuch von neugierigen Einheimischen, die auf einen kleinen Plausch vorbei schauten. Obwohl wir die Gäste im Land waren, bekamen zu solchen Gelegenheiten oft wir die Geschenke: ein Schokostückchen für Arttu hier, ein bisschen Gegrilltes für uns dort und manchmal sogar eine ganze Tüte frische Orangen von der nächsten Plantage. Ich begann mich zu fragen wie wir uns in Deutschland verhalten würden, wenn ein Türke mit Offroadlaster tagelang auf dem Ostseestrand von Usedom stehen würde ....
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Bild 07 Außerhalb der Ballungszentren begegnen uns die Menschen der Türkei stehts freundlich
Bild 08 Auf Einladung besuchen wir die Teppichkooperative von Bergama und werden trotz fehlendem Kaufinteresse sehr zuvorkommend behandelt
Bild 09 Die allwinterlichen Kamelwettkämpfe sind ein unglaubliches Spektakel und zum Glück unblutig
Bild 10 Unser Stellplatz neben der Kamelkampfarena von Incirliova
Auf die letzten Tage in der Türkei machen wir einen Abstecher zu den weltberühmten Kalksinterterrassen von Pamukkale. Genauso wie diverse andere Tourihöhepunkte reißen die uns jedoch nicht unbedingt vom Hocker. Zumal zur Winterzeit eh kaum etwas vom himmelblauen Wasser in den weißen Becken steht. Viel spannender geht es da auf dem Schotterplatz unterhalb des Geländes zu. Dort haben wir gemeinsam mit unseren sporadischen Begleitern in der Magirus-Feuerwehr das Nachtlager aufgeschlagen. Aus reinem Zufall steuern diesen Platz aber nun noch andere Individualreisende an und das Ganze entwickelt sich zu einem mehrtägigem kleinen Overlandertreffen, inklusive Fachsimpeln über Fahrzeuge, Erziehung, Reiserouten und Weltanschauungen.
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Bild 11 Zufälliges Overlandertreffen in Pamukkale mit deutschen, französischen und südafrikanischen Teilnehmern
Auf der gesamten Reise hatten wir zwar mit etwas höheren Temperaturen am Mittelmeer gerechnet, konnten uns im Tourverlauf aber gut mit -2 bis +15 °C anfreunden. Eine ziemliche Umstellung war dann jedoch die Rückreise. Die begann mit -7 °C im türkischen Hinterland und endete mit zweistelligen Minusgraden auf dem Balkan und in Deutschland. Zwar waren mit dem Holzofen auch weiterhin + 25 °C Raumtemperatur im Wohnaufbau möglich, der Job des allmorgendlichen Anheizers, wurde jedoch zunehmend unbeliebter. Eine tolle Zeit war aber auch das. Ganz besonders Arttu genoss noch ein letztes Mal die Tage an denen er ohne die Zwänge und Gefahren des Stadtlebens im Freien spielen konnte.
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Bild 12 Bulgarien ist im Januar fest im Griff des Winters
Bild 13 Kloster Krusedol in Serbien
Ich hoffe nun, dass ich mit meinem Bericht den Rahmen nicht zu sehr gesprengt habe. Gleichzeitig könnt ihr aber gern nachfragen wenn etwas zu kurz geraten ist, mehr Bilder her sollen oder noch Fragen offen sind. Wie immer gibt es alle Reiseabschnitte auch ausführlicher auf unserer Webseite: NebenDemWeg.de
Achja: der L60 hat bei der Tour zwar eine Menge Defekte zu seiner Mängelliste hinzugefügt, aber er hat uns nie im Stich gelassen!
Soweit liebe Grüße,
Susi, Arttu & Hagen